Wir werfen einen genaueren Blick auf den futuristischen E-Lieferwagen.
Bollinger stellt E-Lieferwagen Deliver-E vor
Bollinger Motors wurde 2015 gegründet, zwei Jahre später stellte Chef Robert Bollinger schon das erste Modell mit E-Antrieb vor: den Bollinger B1, einen komplett elektrischen Geländewagen, dessen kantige Form an den britischen Klassiker Land Rover Defender erinnert. 2018 folgte der Bollinger B2. Der Truck nutzt dieselbe Bauplattform, wird aber aufgrund der offenen Ladefläche als Pick-up vermarktet. Mittlerweile wird auch die Plattform selbst unter dem Namen „B2 Chassis Cab“ angeboten. Diese kann einen individuellen Aufbau erhalten, etwa für Krankenwagen, Feuerwehren oder Abschleppwagen mit Stromerantrieb.
Das dritte und neue Modell ist der elektrische Lieferwagen Deliver-E – ein Wortspiel aus „Delivery“ für „Lieferung“ und „e“ für Elektromobilität. Zumindest das Designkonzept wurde jüngst schon veröffentlicht, auf die Präsentation eines echten Modells müssen wir allerdings noch warten. Doch schon der erste Blick verrät: Bollinger goes Star Trek. Während Geländewagen und Pick-up auf eine markante Optik mit schnittigen Geraden und rechten Winkeln setzen, sieht der E-Transporter mehr aus wie ein Enterprise-Shuttle im Orbitalflug: abgerundete Kanten außen und innen, große Fensterflächen für optimale Fahrersicht, aerodynamisch gestylte Silhouette.
Fünf Akkuvarianten und ein bodennaher Einstieg
Über die Leistung des Deliver-E ist noch nichts bekannt. Wie auto motor sport berichtet, soll der E-Transporter aber über fünf Akkuvarianten verfügen: Die kleinste Version kommt mit 70 Kilowattstunden (kWh) aus, daneben soll es Ausführungen mit 105, 140, 175 und 210 kWh geben. Die Ladekapazität beträgt maximal 100 kW. Zu den tatsächlichen Reichweiten machte Bollinger dagegen noch keine Angaben. Wie die New York Times erfuhr, soll ein Deliver-E immerhin mindestens 200 Meilen (320 Kilometer) weit fahren können.
Ein Highlight: der bodennahe Einstieg. Laut Herstellerangaben trennen nicht einmal 46 Zentimeter Straße und Fahrzeugboden voneinander. Damit liegt der Deliver-E noch zehn Zentimeter tiefer als ein Mercedes-Benz Sprinter. Dazu kommt ein durchgängig ebener Ladeboden, in den nur die beiden hinteren Radkästen etwa hineinragen. Beides bedeutet für den*die Fahrer*in eine Erleichterung beim Be- und Entladen, sagt Firmenchef Bollinger. Denn der*die Fahrer*in wird viel zu tun haben, schließlich gibt es im Inneren des E-Lieferwagens jede Menge Platz. Wie viel genau, hängt vom Radstand ab. Bollinger plant, den elektrischen Lieferwagen in mehreren Fahrzeuglängen anzubieten. Welche das sind, wurde noch nicht bekanntgegeben.
Auslieferung des Deliver-E nicht vor 2022
Ein Wermutstropfen bleibt. Die Fahrzeuge von Bollinger kann man bislang nur in Prospekten bewundern. Die Produktion ruht coronabedingt, soll aber wieder starten. Erste Geländewagen und Pick-ups werden voraussichtlich 2021 ausgeliefert. Die Fertigung des Deliver-E beginnt nicht vor 2022, dafür will der Autobauer mit einem noch unbekannten „Manufacturing Partner“ kooperieren. Der E-Lieferwagen wird zwar auf einer eigenen Plattform errichtet, bekommt aber teilweise die gleichen Bauteile wie B1 und B2: etwa Motoren, Akkus, Wechselrichter und Getriebe.
Ob der Deliver-E in Europa erhältlich sein wird, ist noch offen. Die Auslieferung ist im Moment noch auf Nordamerika beschränkt. Doch Bollinger hat Großes vor. Dementsprechend selbstbewusst gibt sich der Autobauer. Im Vergleich zu den meist mit Diesel betriebenen Transportern von heute soll der elektrische Lieferwagen deutlich weniger Emissionen produzieren. Dem Forbes-Magazin sagte CEO Robert Bollinger: „Unser Lieferwagen Deliver-E gibt gewerblichen Fuhrparks die Möglichkeit, umweltfreundlich zu fahren und Betriebskosten zu sparen, während Nachbarschaften von einer Reduzierung der Luft- und Lärmbelastung profitieren werden.“
Mit dem Deliver-E könnte also die Zukunft des Lieferverkehrs ein bisschen wie bei Star Trek aussehen: spaciges Design, vollelektrisch, superleise. Beam me up, Scotty!
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Onlinehandel und Lieferverkehr weiter im Aufschwung
Fest steht, dass Bollinger mit seinem E-Lieferwagen auf ein boomendes Geschäftsfeld abzielt. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat den Onlinehandel nämlich beflügelt. Ob Hundefutter, neues Tablet oder Lebensmittel – viele Einkäufe verlagerten sich fast über Nacht ins Netz.
Durch den immer weiter an Bedeutung gewinnenden Onlinehandel in diesem Jahr verstärkt sich zugleich ein Trend, der Kommunen schon länger vor Herausforderungen stellt: dass auf den Straßen in den Innenstädten immer mehr Lieferverkehr unterwegs ist. Die allermeisten werden immer noch von einem Diesel- oder Benzinmotor angetrieben. Nach Angaben des europäischen Automobilherstellerverbands (ACEA) lag der E-Anteil im Transportsegment im Jahr 2019 bei 1,2 Prozent, während Transporter mit Dieselmotor noch immer 92,8 Prozent Markanteil ausmachen. Vor allem in Ballungsgebieten ist es recht wahrscheinlich, so die Befürchtungen, dass die immer strengeren Grenzwerte für Kfz-Emissionen bald nicht mehr eingehalten werden können.
Eine Lösung für die innerstädtischen Abgasprobleme: elektrisch betriebene Lieferwagen wie der Deliver-E von Bollinger. In absoluten Zahlen betrachtet, fristen sie zwar immer noch ein Nischendasein, doch die Anzahl der zugelassenen E-Lieferfahrzeuge wächst. Der Anteil am gesamten Nutzfahrzeugbestand ebenfalls. Neben den ökologischen Auflagen wird die Entwicklung aber auch von finanziellen Interessen getrieben.
Die Paketzustellung per Transporter zu Kund*innen – im Englischen „Last Mile Delivery“ genannt – war schon vor der Corona-Pandemie ein milliardenschwerer Markt. So ermittelte der Bundesverband Paket und Expresslogistik für das Jahr 2019 einen Gesamtumsatz von über 21 Milliarden Euro. Die Veränderungen im Einkaufsverhalten durch Corona sind in diesen Kalkulationen noch gar nicht berücksichtigt.
Paketzustellung bald mit elektrischem Lieferwagen?
Zahlreiche Automobilhersteller arbeiten bereits an elektrifizierten Transporter-Lösungen. Einige haben auch schon fertige Modelle im Programm, zum Beispiel Mercedes-Benz mit dem e-Sprinter, Volkswagen mit dem e-Crafter, Fiat mit dem Ducato electric und Iveco mit dem Daily Electric. Dazu kommen noch spezialisierte Kleinhersteller, etwa Alké mit dem ATX oder Evum Motors mit dem aCar.
Auch Start-ups wie Bollinger wollen ein Stück vom Milliarden-Kuchen abhaben. UPS orderte beispielsweise beim britischen Newcomer Arrival 10.000 neue E-Transporter. Amazon bestellte wiederum rund 100.000(!) elektrische Lieferwagen beim Elektro-Start-up Rivian. Beide Logistikriesen sind mittlerweile finanziell an dem jeweiligen Lieferwagenhersteller beteiligt.