Zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielte die Elektromobilität eine führende Rolle, denn die Anzahl der elektrisch betriebenen Fahrzeuge war fast doppelt so hoch wie die mit Verbrennungsmotoren. In den Goldenen Zwanzigern wurden Stromer jedoch an den Rand der Bedeutungslosigkeit verdrängt. Heutzutage führt das steigende Umweltbewusstsein zu einem erneuten Aufschwung von E-Autos – und setzt ihre Historie spektakulär fort.
Der erste Boom der E-Autos (1881 bis 1920)
Dass Elektroautos vielen so neu erscheinen, liegt daran, dass sie die längste Zeit des 20. Jahrhunderts ein Nischendasein geführt haben. Tatsächlich waren aber bereits die ersten Autos, die auf europäischen und US-amerikanischen Straßen fuhren, elektrisch betrieben. Die Erfindung des Gleichstrom-Motors durch Thomas Davenport machte es möglich, dass im Jahr 1881 in Paris das erste elektrisch betriebene Dreirad vorgestellt wurde – und von da an nahm alles seinen Lauf.
Seinen Anfang nimmt die Geschichte der E-Autos mit Gustave Trouvé. Der französische Erfinder gilt als entscheidender Wegbereiter, sein Trouvé Tricycle als das erste richtige Elektrofahrzeug der Welt. Schon früher tüftelte man an Fahrzeugen mit E-Antrieb, etwa der Schotte Robert Anderson. Er stellte 1835 (manche Quellen sagen auch 1839) einen Prototyp vor, der eine mit Rohöl betriebene Einwegbatterie nutzte und immerhin 12 Kilometer pro Stunde schaffte.
Doch so richtig gelang erst Trouvé der Durchbruch, als er sein Elektro-Dreirad (dieses Mal auch mit wiederaufladbarer Blei-Batterie!) auf der Internationalen Elektrizitätsausstellung in Paris vorstellen konnte. Das Gefährt gab die Stoßrichtung vor. Andere Erfinder wie die englischen Professoren William Edward Ayrton und John Perry oder ihr Landsmann Magnus Volk nutzten ebenfalls E-Motor und Akku, um dreirädrige Kutschen anzutreiben.
1888 baute der Maschinenfabrikant Andreas Flocken das erste Elektroauto in Deutschland, der „Flocken Elektrowagen“ lief nun auf vier Rädern. Zur gleichen Zeit entstand in Russland eine vergleichbare Innovation: Die Ingenieure Pawel Nikolajewitsch Jablotschkow und Ippolit Wladimirowitsch Romanow präsentierten ihren elektrisch betriebenen Personenkraftwagen – ein weiterer Kandidat für das erste „echte“ E-Auto der Welt.
Auch in den USA präsentierten Erfinder wie William Morrison, Henry G. Morris und Thomas Parker funktionstüchtige E-Auto-Modelle. Morrisons Fahrzeug basierte auf einer pferdegezogenen Kutsche, die bis zu 12 Personen befördern konnte und immerhin 32 Kilometer pro Stunde schaffte – ein Vorläufer der heutigen Kleinbusse mit E-Motor.
1897 begann jenseits des Atlantiks die kommerzielle Produktion und bis 1912 erlebte der E-Auto-Markt in den USA einen wahren Boom. Rund 34.000 Elektrofahrzeuge mit Reichweiten von 100 Kilometern und mehr wurden registriert und machten damit 38 Prozent der Fahrzeuge auf amerikanischen Straßen aus. Im Vergleich dazu hatten nur 22 Prozent der Autos einen Benzinmotor. Der größte Konkurrent der damaligen E-Autos waren tatsächlich Dampffahrzeuge, die mit 40 Prozent den Großteil des Straßenverkehrs dominierten.
Auch das erste Auto, das jemals 100 km/h erreichte, war im Jahr 1899 ein Wagen mit elektrischem Motor. Allerdings wich der Elektro-Rennwagen „Jamais Contente“ von der bis dato üblichen Kutschenform ab: Der Fahrer saß in einem torpedoförmigen Einsitzer. Das erste Hybrid-Fahrzeug ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten und wurde 1900 von Ferdinand Porsche entwickelt. Sogar austauschbare Akkumodelle wurden entwickelt, die ein sofortiges Weiterfahren ohne lange Ladepause ermöglichten – ein Prinzip, das NIO gerade wieder aufgreift. Bis etwa 1920 war das Elektroauto ein ernstzunehmender Konkurrent für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.
Elektroautos in der Nische (1920 bis 1990)
Dass Verbrenner am Ende doch beliebter wurden als E-Autos, lag ausgerechnet an einer elektrischen Erfindung. 1911 wurde der elektrische Anlasser für Benzinautos vorgestellt. Damit entfiel das lästige Kurbeln, ohne dass man Verbrenner bis dato nicht starten konnte. Doch das war nicht der alleinige Grund, warum immer mehr Menschen sich gegen ein elektrisches Auto entschieden: Benziner wurden immer günstiger (Henry Ford lässt grüßen) und hatten zu der Zeit einfach die deutlich höhere Reichweite. Denn auch Öl wurde immer billiger und überall schossen Tankstellen aus dem Boden.
Auch wenn die Verkaufszahlen von E-Autos ab 1912 rückläufig waren, und Verbrenner seit den 1920er Jahren immer mehr die Straßen dominierten – so richtig weg waren elektrische Fahrzeuge nie. Allerdings konzentrierte man sich hauptsächlich auf den Einsatz kleiner Nutzfahrzeuge: Ob beim Milchlieferservice in Großbritannien und den USA, als Flurfahrzeuge in Lagerhäusern und Hallen oder der Kleinsttransporter in Markthallen – der eine oder andere Einsatzort fand sich für die Elektroautos immer.
Gerade die Post zeigte sich experimentierfreudig. Das hatte durchaus Tradition, besaß die Post doch schon in den zwanziger und dreißiger Jahren einen immens großen Fuhrpark an Elektro-Transportern. In den fünfziger Jahren tüftelten sowohl die Bundespost als auch die DDR-Post an Zustellfahrzeugen. Allerdings wurden die Entwicklungen Ende des Jahrzehnts auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs beendet, und zwar aufgrund „wirtschaftlicher Überlegungen“, wie es unisono hieß.
Vereinzelte Versuche, die Technologie für private Autofahrer*innen neu zu beleben, blieben weitgehend erfolglos. Ein Beispiel hierfür ist das erste Carsharing-Projekt der Welt, das in den 1970er-Jahren in Amsterdam gestartet wurde und ausschließlich Elektroautos nutzte. Dieses Projekt wurde jedoch 1988 wieder eingestellt.
Die Rückkehr der E-Autos (1990 bis 2006)
In den 1990ern wurden E-Autos dann auch so langsam wieder für die Straße interessant. Inzwischen hatte sich die Technik verbessert und ein größeres Umweltbewusstsein förderte das Interesse an Alternativen zu Benzin- und Dieselmotoren. Die geänderte Gesetzgebung in Kalifornien, initiiert durch das Zero-Emission-Programm des California Air Resources Board (CARB), gab der E-Auto-Branche in den USA einen neuen Schub. Große Erfolge konnten die ersten Modelle mit Elektro-Antrieb allerdings nicht feiern.
Zwischen 1992 und 1996 versuchte VW, mit dem Golf Citystromer ein Elektroauto zu etablieren. Doch nach der Produktion von 120 Exemplaren, die nur in den Flotten von Energieversorgern eingesetzt wurden, scheiterte das Projekt aufgrund geringer Nachfrage. General Motors unternahm von 1996 bis 1999 einen ähnlichen Versuch mit dem EV1. 1.117 Fahrzeuge wurden auf den Markt gebracht. Dabei hatten ausgewählte Kund*innen die Möglichkeit, diese zu leasen. Wegen fehlender Ersatzteile rief GM die Fahrzeuge nach drei Jahren zurück und verschrottete sie.
Am besten angenommen wurde noch der 1997 erstmals vorgestellt Toyota Prius mit seinem Hybrid-Antrieb. Trotz dieser Rückschläge intensivierten Autohersteller weltweit ihre Bemühungen, Elektroautos in größeren Stückzahlen zu produzieren. Ein Auslöser für diese Richtungsänderung dürfte unter anderem die durch den Golfkrieg ausgelöste Ölkrise in den 1990er-Jahren gewesen sein. Auch ein wachsendes Umweltbewusstsein führte zu einem Umdenken und zu einer verstärkten Suche nach Alternativen zum klassischen Verbrennungsmotor.
Der zweite Boom der E-Autos (seit 2006)
So richtig interessant wurden Elektrofahrzeuge erst wieder mit dem Tesla Roadster, der 2006 auf den Markt kam. Er war für Autofahrer*innen vor allem deshalb spannend, weil er mit einer Technik ausgerüstet war, die es möglich machte, auch lange Strecken zu fahren.
Apropos Tesla: Dem US-Hersteller kommt wohl der Verdienst zu, fast im Alleingang dem E-Auto wieder zu einem „coolen“ Image verholfen zu haben. Seit der Einführung des Tesla Model S im Jahr 2012 können Elektroautos problemlos in allen technischen Belangen mit Benzinern und Dieseln konkurrieren. Das Tesla Model 3 war das erste E-Auto, das so richtig den Massenmarkt erobern konnte. Und mit dem Model Y lieferte Tesla einen regelrechten Verkaufshit ab, dessen Absatzzahlen sogar unangefochtene Verbrenner-Stars wie den Toyota Corolla hinter sich ließen.
Zwar sind Stromer zum Teil noch teurer, doch die Preise sollen in Zukunft sinken. Aufgrund gesetzlicher Vorgaben haben so gut wie alle traditionellen Hersteller Elektroautos in ihre Strategie aufgenommen. Modelle wie der ID.3 und ID.4 haben zwar noch nicht den häufig beschworenen Status eines „Golfs des Elektrozeitalters“ erreicht, konnten sich jedoch erfolgreich am Markt etablieren. Dazu kommen Start-ups und kleine Manufakturen, die sich ausschließlich der Elektromobilität verschrieben haben. Auch immer mehr chinesische Hersteller drängen nach Europa.
Heute verfolgt jeder große Automobilhersteller seine eigene Elektromobilitätsstrategie. Klar ist, dass die Stromer mittlerweile etabliert und aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken sind. Besonders seit der Corona-Krise hat die Branche einen neuen Boom erlebt, wenngleich zuletzt die Nachfrage etwas schwächelte. Und auch die Ladeinfrastruktur, sowohl öffentliche Ladepunkte als auch private Wallboxen, wächst unaufhaltsam. Nicht zuletzt die Wettkämpfe in der Formel-E-Rennserie zeigen, was E-Autos heutzutage alles leisten können.