Das Miteinander bei der Arbeit ändert sich. In einer Kultur des Gehört-gesehen-wertgeschätzt-Werdens brechen hierarchische Führungsstrukturen auf; werden Teams international(er) und divers. Hier sprechen eine Wissenschaftlerin und drei Angestellte der EnBW über Möglichkeiten und Vorstellungen einer nachhaltigen Arbeitsatmosphäre.
Arbeit hat sich verdichtet: Wir schaffen in kürzerer Zeit mehr weg. Es prasseln mehr Informationen auf uns ein, die wir verarbeiten müssen.
Simone Kauffeld, Professorin für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie an der Technischen Universität Braunschweig, stellt fest: Erwerbstätige sind heute stärker eingespannt. „Arbeit hat sich verdichtet: Wir schaffen in kürzerer Zeit mehr weg. Es prasseln mehr Informationen auf uns ein, die wir verarbeiten müssen.“ Dabei hat die Pandemie digitale Arbeitsformen gepusht. Simone Kauffeld fand in einer Studie heraus: Eine große Zahl an Mitarbeitenden wollte immer schon mobil arbeiten. „Einfach weil Themen wie Beruf und Privatleben besser unter einen Hut gebracht werden können. Und Unternehmen haben gemerkt: Das funktioniert!“
„Aber wir haben auch gesehen: Es braucht eine Balance zwischen dem, was der oder die Einzelne in der Arbeit finden möchte, und dem, was das Team braucht, um gut zu funktionieren.“ Sie appelliert daher an Unternehmen, beim digitalen Umrüsten den persönlichen Austausch weiterhin zu fördern. „Das mobile Arbeiten bringt viel Freiraum“, konstatiert sie. „Ich muss nicht für jeden Termin vor Ort sein. Aber je nach Zielsetzung können persönliche Gespräche mit den Kolleg*innen vor Ort weiterhin wichtig sein, um etwa Vertrauen aufzubauen, voneinander zu lernen und kreative Prozesse zu unterstützen.“ Es brauche eine psychologische Sicherheit, in der sich alle im Team gesehen und wertgeschätzt fühlen.
Natürlich zählt am Ende das Ergebnis. Aber an erster Stelle steht der Mensch.
Diesen Grundgedanken bestätigt auch Maureen Burgstahler, die als Agile Coach bei der EnBW viele Teams beim Finden der perfekten Form der Zusammenarbeit unterstützt. BestWork heißt das konzernweit angelegte Programm, das eine optimale, teilweise hybride Zusammenarbeit im Team bei möglichst hoher Flexibilität für jede einzelne Person ermöglichen soll. „Das Besondere dabei ist: Die rund 1.000 Teams des Konzerns finden darauf selbst die für sie gültige Antwort“, erklärt sie. Mit Hilfe von qualifizierten, zumeist internen BestWork-Coaches sollen die Beschäftigten erkennen, welche Bedürfnisse sie haben: Was benötigen sie, um das Teamgefühl, ihren Teamspirit zu stärken? Wie muss der Arbeitsplatz gestaltet sein, wenn kreative Zusammenarbeit in Netzwerken gewünscht wird? Welche technischen Voraussetzungen braucht es? Wie werden Mitarbeitende in Technik geschult? BestWork fordert von Mitarbeiter*innen gedankliche Flexibilität - offen sein für neue Arbeitsweisen und digitale Lösungen - und von Führungskräften ein neues Verständnis, um virtuelle, hybride Zusammenarbeit erfolgreich zu fördern.
Das richtige Mindset sei wichtig. „Veränderung beginnt im Kopf,“ sagt Burgstahler. „Wer 20 Jahre Chef war und mit kooperativem Führungsstil nicht in Berührung kam, muss lernen, dass das Team entscheidet – und umgekehrt. Es braucht viel Kommunikation, viel Aufklärung.“
Schon vor BestWork beschäftigte sie sich damit, klassisch hierarchische Strukturen mit agil arbeitenden Teams bei der EnBW zu verbinden. Natürlich, sagt sie, zähle am Ende das Ergebnis. „Aber an erster Stelle steht der Mensch. Wir drücken das nicht durch. Wir testen, überprüfen, sind offen für Feedback. Wenn es nach drei Monaten nicht läuft, verändern, verbessern wir, schärfen wir nach.“
Streng hierarchische Strukturen sind nicht mehr zeitgemäß.
Das Aufbrechen klassisch hierarchischer Strukturen ist für Jacqueline Lange schiere Notwendigkeit: „Das ist auch in unserer Branche unabdingbar. Die Jungen sind anders aufgewachsen, die kannst du nicht in eine stramme Hierarchie einbringen.“ Jacqueline Lange hat 1989, noch in der DDR, begonnen, Kerntechnik zu studieren; sie ist gelernte Energietechnik-Ingenieurin. Einen Karriereplan, sagt sie, habe sie für sich nie gemacht. „Egal, auf welcher Ebene ich gearbeitet habe, ich wollte erst einmal gut sein in dem, was ich tue.“ Das Unternehmen hingegen hatte einen Plan: Als sie 2019 als erste Frau für die Leitungsstelle im oberen Management vorgeschlagen wurde, „war mir klar: Ich muss das jetzt machen. Und ich habe es nicht bereut.“ Braucht es denn in der Wirtschaft überhaupt noch eine Frauenquote? Ja, sagt sie, sie sei für die Frauenquote. „Je höher es geht, desto hilfreicher ist eine Quote.“
Unabhängig vom Geschlecht: In neuen Strukturen muss freilich auch anders geführt werden. Lange: „Leute ohne Titel und Schulterklappen müssen Verantwortung übernehmen, das erwarten wir dann auch. Nicht alle, die einen guten Job machen, sind es gewohnt Verantwortung zu übernehmen. Das muss man fördern.“
Lange ist auch Teil des Global Management Boards (GMB), in dem sich das Top-Führungsriege regelmäßig austauscht. Früher war das GMB eine Gruppe, bestehend aus 60 High-Level-Führungskräften. Heute sind es über 100 Mitglieder – international und divers besetzt. Das GMB versteht sich als übergeordnete Instanz, in dem unternehmensstrategische Themen beraten und bearbeitet werden, das die Themen bündeln und in die jeweiligen Unternehmensbereiche tragen soll. „Es geht darum, Verbesserungsmöglichkeiten früh zu erkennen und Initiativen zum Nutzen des Unternehmens aufzugreifen“, sagt Jacqueline Lange.
Ob Kauffeld, Lange oder Burgstahler, alle sind sich einig, dass Selbstwirksamkeit, Veränderungswille und Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten elementar für zukünftiges Arbeiten sind – Eigenschaften, die man auch trainieren kann.
Wenn man ohne Ziel lebt, hat das Leben keinen Sinn. Man wird keinen Erfolg haben.
Der 28-jährige Amer Alenklizi hat sie im Blut. Er flüchtete mit 18 aus Syrien; in Dubai erhielt er keine Arbeitserlaubnis, also zog er weiter nach Ägypten, arbeitete dort anderthalb Jahre, zog weiter in die Türkei, kam 2015 nach Deutschland und hat ein Berufsintegrationsprogramm bei der EnBW durchlaufen. Und wenn ihm die EnBW damals nicht die Lehrstelle als Industriemechaniker angeboten hätte? „Ehrlich gesagt, dann hätte ich längst ,Tschüss, Deutschland!‘ gesagt. Ich bleibe nicht, wenn ich nicht vorankomme.“
Inzwischen ist Amer Alenklizi angekommen und will eine Zusatzausbildung zum Kraftwerker machen. „Ich will nicht nur Störungen beseitigen, ich will die Anlage steuern.“ Mit den Kollegen im Steinkohlekraftwerk im Karlsruher Rheinhafen „versteh ich mich super“. Die Männer, sagt er, hätten mehr Lebenserfahrung als die Jungs, mit denen er gelernt hat.
Vom Typ her ist Amer der geborene Vertriebler. Wäre er in Syrien geblieben, hätte er einen Laden, nein, sagt er: „Eine Ladenkette! Wenn man ohne Ziel lebt, hat das Leben keinen Sinn. Man wird keinen Erfolg haben. Ich konnte nicht davon ausgehen, dass ich nach Deutschland kommen werde. Aber ich habe es mir vorgenommen und es versucht. Der Rest kommt dann schon.“ So spricht ein Unternehmer.
Bleiben der Ausblick und die Frage, welche Führungs-Skills es in Zukunft braucht. Der drohende Fachkräftemangel gibt die Richtung vor. Agile Coach Maureen Burgstahler sieht künftige Führungskräfte als diejenigen, die den Weg weisen und motivieren. „Es braucht mehr Veränderungswille, mehr interkulturelles Arbeiten. Unternehmen werden die Bedürfnisse der Mitarbeitenden mehr sehen müssen.“
Simone Kauffeld stimmt zu. Weil es so schwer werde, Mitarbeiter*innen zu gewinnen, müssten die neuen unbedingt gehalten werden. „Man muss vom ersten Tag an Personalentwicklung betreiben und wissen: Wie entwickle ich die Person weiter? Und es wird um Job Crafting gehen, also um aktives und individuelles Gestalten der eigenen Arbeit. Der oder die Neue wird nicht komplett die Aufgaben des Vorgängers oder der Vorgängerin übernehmen, also muss das Team umstrukturiert werden. Und ich muss auf jede einzelne Person eingehen. Das gut hinzubekommen ist wohl die größte Herausforderung.“
Oder wie es Jacqueline Lange sagt: „Wenn ich ein funktionierendes Team haben will, muss ich den Menschen in den Mittelpunkt stellen, und zwar jeden einzelnen mit dem, was er oder sie zu leisten vermag.“