Grünflächen versus Dichte: Kontroverse Diskussionen beim virtuellen Stadtgespräch
Wie gelingt nachhaltiges Bauen? Kann man viel Wohnraum schaffen und gleichzeitig klimagerecht bauen? Und was kann das für den Neuen Stöckach bedeuten? Spannende Fragen wurden am 25. Juni beim Stadtgespräch der EnBW diskutiert.
Spannend war auch das Format selbst: Moderator Thomas Bade und zwei der Gäste trafen sich im EnBW-Studio über eine Live-Schaltung mit drei weiteren namhaften Experten. 125 Interessierte waren online mit dabei, beteiligten sich an Kurz-Umfragen und stellten Fragen. Die Anregungen der Experten und Bürger sollen in die weitere Planung einfließen. „Es gibt zwar bereits einen Siegerentwurf, dieser ist jedoch nicht in Stein gemeißelt“, so der TV-Moderator.
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt. Begriffe wie „Zukunft“, „Natur“, „Ressourcenschonung“, „Gerechtigkeit“ und „Erneuerbare Energien“ wurden von den Zuschauern spontan genannt. Auf viele dieser Aspekte gingen auch die Experten bei ihrem Gespräch ein.
Wenn Sie nicht live dabei waren: Hier können Sie die Veranstaltung noch einmal mitverfolgen:
Mehr Wohnraum durch dichtere Bebauung
Florian Musso, Architekt und Professor an der TU München, zeigte sich als Verfechter des dichten Bauens. „Je dichter gebaut wird, desto weniger Fläche und Energie werden verbraucht.“ Zudem schonen kurze Wege die Umwelt. Den neuen Stöckach würde Musso gerne dichter bebaut sehen als im bisherigen Entwurf vorgesehen, nicht zuletzt um mehr Wohnraum zu schaffen. „Ich habe selbst schon in Stuttgart gelebt und hier nach einer Wohnung gesucht.“ Bäume seien natürlich wunderbar, doch müsse man sie nicht überall pflanzen. Im nahe gelegenen Villa-Berg-Park und im Schlossgarten gebe es ganz viele davon.
Auf Durchlüftung und Kühlung achten
Stadtklimatologe Rainer Kapp war da nicht ganz seiner Meinung. Er wies auf die besonderen klimatischen Bedingungen hin. „Stuttgart mit seiner Kessellage ist extrem schlecht durchlüftet.“ Zusammen mit dem sowieso milden Klima führe das zu immer mehr Hitzetagen und warmen Nächten. Umso wichtiger sei es, die nächtlichen Kaltluftströme möglichst zu erhalten und nicht auszubremsen. „Dazu dürfen sich die Oberflächen und die Baukörper tagsüber nicht zu sehr aufheizen.“ Beschattung sei ein wichtiges Element, genauso wie kühle Oberflächen oder die Schaffung von Verdunstungskälte, z.B. durch Pflanzen. Eine dichte Bebauung führe zu einer hohen Wärmebelastung der Bewohner. „Der Stuttgarter Westen ist ein Wärmepol der Stadt, gerade wegen der dichten Bebauung und der hohen Versiegelung der Flächen.“
Dass eine dichte Bebauung nicht unbedingt zu mehr Hitze führen muss, betonte Thomas Auer, Professor für klimagerechtes Bauen an der TU München. „In Städten wie Rom funktioniert die gegenseitige Beschattung der Gebäude ganz gut.“ Auch mittelalterliche Städte mit ihren engen Gassen seien so aufgebaut gewesen.
Langlebige und flexible Gebäude
Die Langlebigkeit von Gebäuden ist ein weiterer wichtiger Aspekt der Nachhaltigkeit. Im Siegerentwurf für den neuen Stöckach werden einige Bestandsgebäude weiter genutzt. „So viele Strukturen wie möglich zu erhalten, ist ein wertvoller Beitrag zur Nachhaltigkeit“, so Auer. Andererseits, so der Einwand Florian Mussos, belegen die Bestandsgebäude Raum, der ansonsten für eine dichtere Bebauung genutzt werden könnte. Ob vom Charme der Industriebauten viel übrigbleibt, wenn man sie dämmt und heutigen Anforderungen anpasst, bezweifelt er.
Architekturhistoriker Vittorio Magnago Lampugnani stimmt hier zu: „Der Preis für den Erhalt der Gebäude ist die geringere Dichte.“ Da könne man noch an den Strukturen arbeiten, damit das Gebiet städtischer werde.
Einig sind sich die Experten, dass Gebäude flexibel sein müssen, wenn sie nachhaltig sein sollen. „Technik kommt und geht“, sagt Auer dazu. „Die Systeme müssen austauschbar sein.“ In langen Zeiträumen zu denken, findet Lampugnani wichtig. Die gebaute Infrastruktur könne man schließlich nicht so schnell ändern.
Wohnen und Ökologie neu denken
Wenn man über Nachhaltigkeit diskutiert, geht es natürlich auch um die Energieversorgung. Am Energiekonzept für den Stöckach arbeite man noch, so Expertin Stefanie Jelinek. Biomasse, Wärmepumpen und auch Geothermie seien Möglichkeiten. Vorstellbar sei beispielsweise u.a. ein Quartiers-Blockheizkraftwerk, das Wärme und Strom liefert. „Solche Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen kann man auch mit Biogas betreiben.“ Mit ihrer Firma AutenSys arbeitet Jelinek an autarken Lösungen für ihre Kunden. Allerdings müsse es nicht immer 100 Prozent Autarkie sein. „Die letzten 3 Prozent sind die teuersten. Ist das dann sozial gerecht?“ Vieles müsse man abwägen, zum Beispiel die Frage, ob eine Photovoltaikanlage oder eine Begrünung auf dem Dach wichtiger sei. „Der Stöckach ist ein ideales Gestaltungsumfeld, um Wohnen und Ökologie neu zu denken.“
Weitere Termine: Machen Sie mit!
Das nächste Stadtgespräch mit Experten im September geplant. Dann wird es um die Frage gehen, wie sich nachhaltige Stadtquartiere finanzieren.
Einbringen können sich interessierte Bürger weiterhin auch bei den Bürgerwerkstätten, von denen ebenfalls noch mehrere in diesem Jahr geplant sind.