Photovoltaik boomt: Allein 2023 sind in Deutschland mehr als eine Million neuer Solaranlagen installiert worden, 2024 sollen es Prognosen zufolge sogar 1,2 Millionen sein. Doch installiert heißt noch lange nicht, dass die PV-Anlage auf dem Dach auch Strom ins öffentliche Netz einspeist. Denn dafür muss meist erst der Stromzähler getauscht werden. Den Austausch übernehmen Elektroinstallateur*innen im Auftrag der jeweiligen Netzbetreiber. Doch das dauert. Viele Hausbesitzer*innen warten oft monatelang auf einen sogenannten Zweirichtungszähler, der sowohl den Stromverbrauch im Haus als auch die ins Netz eingespeiste Strommenge zuverlässig dokumentiert. Also was tun?
Einen Weg zu schnelleren Netzanschlüssen hat die Netze BW gefunden. Früher mussten Kund*innen noch verschiedene Papierformulare ausfüllen, diese per Post abschicken und auf deren Bearbeitung warten. Heute geht das alles digital – und damit deutlich schneller. Dank komfortabler Eingabemasken können Kund*innen von der ersten Anfrage bis zur Inbetriebnahme alle Anschlussangelegenheiten mit ein paar Klicks direkt im Kundenportal erledigen. Davon profitieren auch Elektroinstallateur*innen wie Andreas Hahn aus Stuttgart. Er bekommt seine Aufträge bereits mit sämtlichen Kundendaten sowie allen erforderlichen technischen Details und kann diese direkt im Portal bearbeiten – egal, ob es um den Anschluss einer Photovoltaikanlage, einer Wallbox oder einer Wärmepumpe geht. „Das erleichtert mir die Arbeit erheblich. Auch weil es in Zukunft ja nicht weniger, sondern eher mehr Anlagen werden, die wir ans Netz anschließen sollen“, so Hahn.
Tausende Anlagen jeden Monat
Allein 40.500 Anträge für den Anschluss von Photovoltaikanlagen sind im ersten Halbjahr 2024 bei der Netze BW eingegangen. Zehn Mal mehr als noch vor vier Jahren. Hinzukommen 5.404 Wallboxen und 4.056 Wärmepumpen, die ebenfalls einen Netzanschluss brauchen. Diese Mengen abzuarbeiten, daran haben Elektroinstallateure wie Andreas Hahn maßgeblich mitgewirkt – auch, weil sie dank der digitalisierten Kundenanfragen weniger Zeit mit Papierkram verbringen mussten.
Klar ist aber auch: Nicht alle Akteur*innen der Energiewende nutzen die Potenziale der Digitalisierung im gleichen Maße wie die Netze BW. Um das Stromnetz in Deutschland kümmern sich mehrere hundert kleine und große Betreiber. Bei vielen von ihnen gibt es noch reichlich Aufholbedarf bei der Digitalisierung, um die Umsetzung der Energiewende zu beschleunigen.
Wallbox, PV, Wärmepumpe: Anfragen für Netzanschlüsse bei Netze BW
* Prognose, ** Stand September 2024; Quelle: Netze BW
Baustellen können ganz schön nervig sein – insbesondere für jene, die sie direkt vor der Haustür haben und dadurch längere Fahrtwege in Kauf nehmen müssen oder Lärm und Schmutz ausgesetzt sind. Sie sind aber auch herausfordernd für diejenigen, die sie „abarbeiten“ müssen. Das weiß auch die Netze BW. Als größter Verteilnetzbetreiber in Baden-Württemberg, hat die EnBW-Tochter zahlreiche Baustellen gleichzeitig zu betreuen und es werden perspektivisch noch mehr: bis 2045 sollen insgesamt 2.900 Kilometer Hochspannungs- und 39.600 Kilometer Mittelspannungsleitungen erweitert oder neu gebaut werden, um mit dem Ausbau der erneuerbaren Schritt zu halten und deren Integration sicherzustellen. Viel zu tun also.
Damit die notwendige Bauarbeiten so schnell und stressfrei wie möglich ablaufen, setzt die Netze BW auf digitale Lösungen. Diese reduzieren die Komplexität und den Zeitaufwand deutlich. Im Vorfeld bei der Planung, aber auch ganz konkret auf der Baustelle. „Mit Klemmbrett, Papier und Bleistift arbeiten wir schon lange nicht mehr“, sagt Projektleiter Sebastian Martin, dessen Team aus zeitweise rund 30 internen und externen Entwickler*innen die Tools für das digitale Baustellenmanagement entwickelt.
Von der Planung bis zur Umsetzung: alles digital
Mit einem der neuen Planungstools lassen sich beispielsweise alle Baumaßnahmen frühzeitig digital erfassen sowie geografisch und visuell planen. So können die Bauplaner*innen etwa präzise festlegen, von wo bis wo ein Rohr oder Kabel verlegt werden muss. Das Planungstool ermöglicht quasi eine „Live-Sicht“ auf Baustellen, um jeweils den aktuellen Stand abzufragen und diesen mit der Planung vergleichen zu können. Aber damit nicht genug: „Ende 2022 haben wir mehr als 400 Tablets an unsere Baukoordinator*innen ausgegeben, um allen die mobile Nutzung unserer neuen Apps und Online-Portale zu ermöglichen“, so Martin. Sie sind täglich auf Baustellen in ganz Baden-Württemberg unterwegs. Dank Tablet haben sie ihr Büro immer in der Tasche und alle Informationen zur Baustelle parat. Zudem können Absprachen mit Partnern, Baufortschritt oder Mängel direkt dokumentiert werden. Die Nachbereitung im Büro entfällt.
Nur zwei Beispiele, was die neuen Tools rund um die „Digitale Baustelle“ können. „Alles, was wir hier entwickeln, kommt dem Netzausbau zugute ermöglicht so auch eine schnellere Umsetzung der Energiewende insgesamt“, so Martin.
Wird bei Bauarbeiten oder durch klimabedingte Extremereignisse zum Beispiel einen umgestürzte Bäume, ein wichtiges Kabel für die Stromversorgung beschädigt, steht plötzlich alles still in der näheren Umgebung – Stromausfall. Die Folge für Anwohner*innen: Das Licht geht aus, das E-Auto lädt nicht mehr, die Wärmepumpe streikt. Zwar gilt das deutsche Stromnetz als sehr zuverlässig - im internationalen Vergleich sind die durchschnittlichen jährlichen Ausfallzeiten trotz der enormen Herausforderungen durch die Energiewende eher gering. Dennoch vergehen bei einem Stromausfall in der Regel einige Minuten, bis die Stromversorgung wiederhergestellt ist. Ist der Schaden schwerwiegender kann es auch bis zu einer Stunde und mehr dauern. Das liegt schlicht daran, dass ein Ausfall innerhalb des immer verzweigten und weitläufigen Stromnetzes derzeit meist noch mit viel manueller Arbeit verbunden ist.
Durchschnittliche Stromunterbrechung je Verbraucher (in Minuten pro Jahr)*
Durchschnittliche Stromunterbrechungsdauer im Ländervergleich (in Minuten pro Jahr)
* SAIDI (System Average Interruption Duration Index); ** mit höherer Gewalt; Stand 2022, Quellen: Bundesnetzagentur, VDE FNN
Die Vision: Eine Störung, die Niemand merkt
Die Monteur*innen müssen bei einem Stromausfall erst an den Ort des Schadens fahren, den genauen Standort des beschädigten Kabels ermitteln und die notwendigen Schaltvorgänge manuell durchführen. In Abstimmung mit der zuständigen Netzleitstelle schalten sie dann das Netz so um, dass der Strom um die Schadensstelle herumgeleitet wird und die Versorgung über einen anderen Mittelspannungsstrang sichergestellt ist. Tüftler*innen der Netze BW dauert das zu lange. Ihre Vision: Bei einem Stromausfall sollen automatisierte Schaltvorgänge so rasch ablaufen, dass im Idealfall Niemand die Störung im Netz wahrnimmt. Im neuen „NETZlabor Allgäu“ erprobt ein Projektteam der Netze BW, ob und wie sich Stromunterbrechungen mit Hilfe der Digitalisierung verkürzen lassen, ein Netz sich im Idealfall sogar schnell „selbst heilen“ kann.
Leutkirch ist Pilot für automatisierte Schaltvorgänge
Schauplatz des Pilotprojekts ist ein Teil des Versorgungsgebiets des Umspannwerks Leutkirch im Landkreis Ravensburg: Intelligente, fernsteuerbare Ortnetzstationen übermitteln hier Informationen in Echtzeit an die Netzleitstelle. Die Mittelspannungsschaltanlage, die Strom bei Bedarf umleiten kann, ist ebenfalls fernsteuerbar. Das Ziel: Im Zusammenspiel sollen diese Komponenten bei einem Störungsfall das Netz schnell umschalten können, damit der Strom möglichst unterbrechungsfrei auf einem anderen Weg zu den Kund*innen kommt. Während die Kund*innen im besten Fall dann gar nichts von der eigentlichen Störung mitbekommen, können die Monteur*innen der Netze BW in Ruhe die genaue Fehlerstelle suchen und reparieren.
„Unsere Kolleg*innen in den Netzleitstellen und draußen im Netzbetrieb geben täglich alles, um Stromunterbrechungen so kurz wie möglich zu halten. Jedoch wird auch die Netzführung immer komplexer. Dabei kann Netzautomatisierung ein ergänzender und wichtiger Baustein sein, die Versorgungsqualität weiter zu verbessern. Im NETZlabor Allgäu wollen wir dafür die Grundlage legen. Ich bin gespannt, denn die Theorie ist das eine, die Praxis lehrt oft das andere“, sagt Projektleiter Christian Lakenbrink. Bis Jahresende sollen erste Zwischenergebnisse vorliegen.