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Der Wind bläst mit 50 km/h. Während in den baden-württembergischen Onshore-Windparks der EnBW in Langenburg und Winterbach beste Bedingungen herrschen, weht in rund 600 beziehungsweise 700 km Entfernung auf den Bildschirmen von Meik Schlechtingen und Josef Feigl in Hamburg ein strammer Datensturm. Denn dort laufen die Informationen aus den Windkraftanlagen zusammen, Datenreihe für Datenreihe. In jeder Anlage stecken bis zu 1.500 Sensoren – und die melden hunderttausende Werte pro Minute. Die zwei arbeiten mit Künstlicher Intelligenz (KI) daran, den Datensturm zu zähmen und so Defekte und Anomalien an den Anlagen frühzeitig zu erkennen. Sie sparen für die EnBW dadurch schon heute rund zehn Millionen Euro pro Jahr.

Die Nadel im Heuhaufen

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Auch im Kleinen (wie hier im Miniatur Wunderland Hamburg) wird deutlich: Je größer und präziser die Datenmenge ist, desto zuverlässiger spürt die KI Fehler auf. Bild: Rolf Otzipka

Josef Feigl lehnt sich in seinem Bürostuhl zurück. Der promovierte Wirtschaftsmathematiker ist fasziniert von der Technik. Jedes der Rotorblätter sei rund 60 Meter lang und wiege um die 25 Tonnen. Trotzdem könne schon ein relativ schwacher Wind von 12 km/h die Turbine in 150 Metern Höhe antreiben. Links neben ihm sitzt sein Kollege Meik Schlechtingen. Er erinnert sich: „Noch um 2010 funktionierte die Instandhaltung von Windkraftanlagen weitgehend reaktiv. Damals war Datenanalyse wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Analysten fahndeten manuell nach Auffälligkeiten. Gab es einen Hinweis, fuhr ein Servicetechniker zur Windkraftanlage und schaute dort nach. Das war wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.“

Machine Learning - Training für die KI

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Heute machen die beiden das anders. Sie entwickeln Modelle und trainieren die KI, Abweichungen von der Norm aufzuspüren und zu melden – Machine Learning nennt sich das. Und dies funktioniert immer dann besonders gut, wenn es um sehr große und komplexe Datenmengen geht. „Wo der Mensch vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen würde, da freut sich die KI über die Menge und Komplexität der Daten“, schmunzelt Feigl. Denn: Je präziser die Informationsgrundlage, desto zuverlässiger kann die KI sagen, ob ein Fehler vorliegt.

Wie funktioniert eine KI und wie hilft sie Menschen?

Eine KI nutzt Algorithmen, um anhand von definierten Schritten eine Antwort auf ein konkretes Problem zu finden. Diese Algorithmen sind Handlungsvorschriften oder Gesetze, die auf mathematischen Formeln beruhen. Ist die KI mit genügend Daten trainiert, gibt sie nach dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit eine Antwort. Durch die Kombination verschiedener Algorithmen kann die KI teilweise kognitive Fähigkeiten des Menschen imitieren. Damit hilft sie besonders bei der Analyse von großen und komplexen Datenmengen. Die Qualität der Ergebnisse hängt allerdings von Größe und Genauigkeit der Datenmenge ab. Eine KI kann jedoch (noch) keine Erkenntnisse aus einem gelernten Bereich auf eine andere Ebene überführen. Sie muss jedes Mal wieder neu eingelernt werden.

Mit künstlicher Intelligenz in Windkraftanlagen „hineinhören“

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Viele Daten – damit können die beiden dienen. Alle zehn Minuten sendet jede Windkraftanlage ihre Betriebsdaten. Dazu gehören unter anderem die Temperaturen von Lagerungen, des Getriebeöls oder die Drehzahl des Generators. Hinzu kommen noch Informationen von weiteren Sensoren. „Mit denen hören wir in die Anlage hinein – quasi wie ein Arzt mit einem Stethoskop den Brustkorb abhört. Damit können wir beispielsweise Haarrisse in Zahnrädern frühzeitig erkennen“, erklärt Feigl. Die echte Herausforderung sei aber nicht das Abhorchen, sondern die Daten zu verstehen, den Fehler zu lokalisieren und abzuschätzen, wie schwerwiegend das Problem ist. „Das können noch nur Menschen – deshalb schauen wir uns die auffälligen Daten gemeinsam mit Ingenieuren und Experten für die Technik an. Dann schicken wir, wenn nötig, ein Serviceteam los“, ergänzt Schlechtingen. Je nach Art und Menge der Daten müssen die Expertinnen und Experten dafür unterschiedliche Verfahren anwenden. Beim Windgeschwindigkeitsmesser, dem Anemometer, sei die Sache relativ einfach, so Feigl. Hier würden schon die Informationen von zwei bis drei Sensoren reichen, um die Fehlerlage zu analysieren. „Anemometer sind wichtig. Es gibt immer zwei pro Windkraftanlage, damit die Anlage sicher ein- und abschalten kann, wenn zum Beispiel zu viel Wind weht. Wenn die beiden Anemometer verschiedene Werte messen, schauen wir uns das an.“ Bei anderen Fehlermeldungen ist die Datenlage sehr viel komplexer.

Live-Erste-Hilfe

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Doch die beiden und ihr Team greifen bei Bedarf schon ein, bevor die Techniker vor Ort sind. Erkennen sie beispielsweise, dass sich ein schwerwiegender Fehler anbahnt und ein kompletter Systemausfall droht, dann drosseln sie die Leistung der Anlage. Das schont die beschädigte Komponente und verschafft dem Serviceteam die nötige Zeit, es auszutauschen. So senken sie Kosten und verbessern die Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie.

Im Zentrum des Datenflusses

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Meik Schlechtingen ist bei der EnBW als Teamleiter Condition und Structural Health Monitoring tätig. Bild: Rolf Otzipka

Doch wie lesen die beiden das aus den tausenden Informationen heraus? Schlechtingen zeigt mit seiner Hand auf den Bildschirm und erklärt den Datenfluss, der auf seinen Bildschirm strömt: „Die Sensoren senden uns Informationen. Diese setzen wir in Beziehung zu weiteren Messgrößen, die wir zeitgleich erfassen: Außentemperatur, Windgeschwindigkeit, Drehzahl, Leistungsabgabe und so weiter. Mit diesen Werten füttern wir das Modell – und das erlernt dann die Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Messgrößen. Damit simuliert das Modell ein bestimmtes Normalverhalten.“ Weichen die Daten von der Norm ab, meldet sich das System und die Spezialisten schauen sich die Werte genau an.

450 Windkraftanlagen werden mithilfe der KI überwacht

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Heute arbeiten Schlechtingen, Feigl und ihre Kolleg*innen mit über 22.000 Modellen, die in Sekundenschnelle trainiert werden können. 450 Windkraftanlagen überwachen das EnBW-Team aktuell mithilfe der KI. Warum sie so viele Modelle für deutlich weniger Windkraftanlagen bräuchten? Feigl nickt. Er kennt die Frage: „Wir betreiben viele verschiedene Windkraftanlagen, von unterschiedlichen Herstellern und mit unterschiedlichen Komponenten. Zudem stehen sie alle an anderen Orten und sind damit verschiedenen Umweltbedingungen ausgesetzt. Letztlich ist jede Windkraftanlage einzigartig.“ Für alle brauchen sie mehrere Modelle.

Tausende Rechner per Knopfdruck

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Josef Feigl ist Data Scientist bei der EnBW. Bild: Rolf Otzipka

Hinzu kommt, dass Wind und Wetter insgesamt launisch sind. Neue Windkraftanlagen müssen deshalb erst einen kompletten Jahreszyklus und verschiedene Betriebszustände durchlaufen, damit die Modelle präzise Daten liefern zu können. Erst dann kann ein Modell zum Beispiel die saisonalen Schwankungen herausfiltern. Dabei hilft den beiden vor allem der technische Fortschritt und die steigende Rechenleistung: „Als ich anfing, hatten wir einen leistungsstarken Rechner in meinem Büro stehen, der Tag und Nacht Daten verarbeitete“, erinnert sich Schlechtingen. „Heute können wir auf Knopfdruck die Rechenleistung von Hunderten oder Tausenden Maschinen einkaufen, die uns die Dinge durchrechnen.“

Die Grenzen der KI

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Letztlich entscheidet aber immer die Datenmenge und -qualität. „Das funktioniert wie eine mathematische Gleichung“, sagt Feigl. „Wenn Sie sich am Anfang verrechnen, stimmt das Gesamtergebnis nicht.“ Das nennen die Fachleute garbage in, garbage out. Auf gut Deutsch gesagt: Wenn die KI mit falschen Informationen gefüttert wird, gibt es auch falsche Ergebnisse. Ein weiteres Problem bei der KI ist, dass sie zwar bei großen und komplexen Datenmengen helfen kann. Sie abstrahiert aber nicht. „Das bedeutet: Unsere zigtausend Modelle sind Spezialisten. Jedes kennt sich mit einem kleinen Teil der Windkraftanlage aus. Ein Modell erkennt beispielsweise Schäden an der Messkette, ein anderes Probleme bei den Anemometern – aber kein Modell kann beides. Eines unserer Ziele für die Zukunft ist deshalb, dass die vielen Modelle besser zusammenarbeiten“, sagt Feigl. Und Schlechtingen ergänzt: „Es würde uns schon helfen, wenn die KI die Auffälligkeiten genau lokalisieren könnte. Daran arbeiten wir.“

Beide sind sich einig: Die Entwicklung auf dem Gebiet der KI-Forschung macht in naher Zukunft Quantensprünge.

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