Wie die Corona-Pandemie das Leben in Städten verändert
Die Corona-Pandemie hat immense Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, unseren Alltag und das Leben in Städten. Als Antwort auf die Krise und die Maßnahme des Social Distancing haben erste Städte bereits Lösungen wie beispielsweise Pop-up-Fahrradstreifen oder temporäre Erweiterungen von Fußgängerzonen entwickelt. Trendforscherin Oona Horx-Strathern vom Zukunftsinstitut befasst sich mit den Themen Wohnen, Lebensstile, Stadt und Architektur. Im Interview erläutert sie, welche Aspekte aus Ihrer Sicht durch die Pandemie mehr in den Fokus rücken.
Frau Horx-Strathern, welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Stadtentwicklung?
Man sieht weltweit, dass viele Städte bereits aktiv geworden sind. Es gibt mehr Fahrradwege, die permanent beibehalten werden sollen – so zum Beispiel in Mailand. In Wien gibt es Überlegungen, die Innenstadt autofrei zu gestalten. Die Erfahrungen der Pandemie ermöglichen eine neue Sichtweise. Dinge, die wir uns bislang überhaupt nicht vorstellen konnten, funktionieren auf einmal. Diese Erkenntnis stellt eine Chance in der Krise dar. Es ist jetzt der Job von Stadtplanern, Architekten, Bürgermeistern und Kommunen, zu handeln und die Zukunft der Städte anders zu planen als bisher.
Herrscht auch in Bezug auf Wohnraum ein Umdenken?
Die Corona-Krise ist ein sehr tiefgreifendes und eindringliches Ereignis, das vor allem soziale Fragen hervorbringt. Viele Menschen haben angefangen, darüber nachzudenken, wie sie in Zukunft leben wollen. Städte haben aktuell bis zu fünfzig Prozent Singlehaushalte – ich glaube, dass die Menschen jetzt stärker nach Gemeinschaft suchen, um der sozialen Isolation entgegenzuwirken. Menschen haben in der Krise ihre unmittelbare Nachbarschaft neu entdeckt und gelernt, in ihrem Zuhause nicht nur zu wohnen, sondern auch zu arbeiten. Solche Erfahrungen können wir nutzen, um ein neues soziales Leben, ein neues Stadtgefühl zu erzeugen. Anstatt zu alten Routinen zurückzukehren, entsteht eine neue Normalität. Wir müssen diese Offenheit gegenüber Veränderung nun nutzen.
Wie möchten die Menschen in Zukunft leben?
Es zeichnet sich der Trend ab, dass wir einen verstärkten Sinn für Lokalität entwickeln. Viele haben durch die Pandemie zum ersten Mal ihre nächste Community erkundet: egal ob Geschäfte, Parks, Straßen oder Fahrradwege. Es sind neue Beziehungen zur eigenen Nachbarschaft entstanden; die Krise hat eine Form der Hyper-Lokalisierung erzeugt. Gemeint ist damit eine Zukunft, in der das Lokale – also das, was in der unmittelbaren Nähe ist – wieder an Bedeutung gewinnt. Diese Entwicklungen folgen der Idee der 15-Minuten-Stadt: Sie ermöglicht es, innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad alle wichtigen Geschäfte und Services zu erreichen, die man im Alltag braucht.
Das klingt nach einem Quartier der Zukunft – sehen Sie in den Plänen für den neuen Stöckach Potential für solch eine 15-Minuten-Stadt?
In den Entwürfen für den Stöckach sehe ich das auch. Viele Einrichtungen des täglichen Lebens sind innerhalb des Quartiers schnell erreichbar. Was dabei ganz wichtig ist: Ein solches Quartier ist kein abgeschlossener Raum, die Grenzen nach außen hin müssen offen sein. Nur so sind Diversität, Konnektivität und Kommunikation möglich, die zu einer lebenswerten Stadt beitragen. Ein lebendiges Quartier ist offen. Und das scheint das geplante Quartier der EnBW zu sein.
Was bedeutet für Sie der Modebegriff Smart City?
Für mich ist eine Stadt smart, wenn sie eine gute Lebensqualität bietet. Technologie ist dabei nicht alles. Viele Menschen denken, dass durch Technologie alles einfacher wird. Wir merken aber auch, dass Smart Homes gar nicht mehr so wichtig sind. Man verbringt viel Zeit zu Hause, doch man will nicht unbedingt mehr Technologie, sondern man möchte mehr Gemütlichkeit – mehr Kissen (lacht). Auf der Ebene der Stadtentwicklung ist das ähnlich: Viele der bereits gebauten Smart Cities, besonders in Asien, sind tot. Es kommt ganz darauf an, wie man ihre Technik nutzt. Menschen wollen nicht kontrolliert oder gesteuert werden. Daher geht es für mich bei einer Smart City um ganz andere Faktoren: ökologisch smart, sozial smart und smarte Mobilität. Die Soziologin Saskia Sassen sagt: „Echte Smartness hängt nicht vom Level der Digitalisierung ab, sondern von der Umsetzung des Wissens der Bewohner.“ Die Technologie ist also nur ein Tool, ein Mittel zum Zweck. Am Ende geht es um die Konnektivität der Menschen untereinander, von Mensch und Stadt, von Mensch und Natur. Nur so wird ein gemeinsames Stadtgefühl erschaffen.
Oona Horx-Strathern vom Zukunftsinstitut ist Trendforscherin und nahm am zweiten Stadtgespräch als Speakerin teil.