Tausende ältere Windkraftanlagen fallen jedes Jahr aus der staatlichen Förderung. Ein Weiterbetrieb ist meist nicht wirtschaftlich für Anlagenbetreiber. Denn alte Windräder erzeugen in der Regel viel weniger Strom als neuere, effizientere Windkraftanlagen und sind nach oft mehr als zwei Jahrzehnten Dauerbetrieb technisch erneuerungsbedürftig. Gleichzeitig sind neue Standorte für Windkraftanlagen in vielen Regionen rar gesät, Genehmigungsverfahren häufig aufwändig und langwierig. Gut für den Fortschritt der Energiewende ist es daher, alte Anlagen per Repowering durch leistungsstärkere Windräder zu ersetzen. So bringen etablierte Flächen langfristig mehr Stromertrag. Aber was geschieht mit den ausrangierten Anlagen? Wie lassen sich hier Wertstoffe wiederverwerten oder weiternutzen?
Die EnBW beteiligt sich daran, nachhaltige Standards für den Rückbau sowie für ein ressourcen- und umweltschonendes Recycling von Windkraftanlagen zu entwickeln. Ein von der EnBW gefördertes Forschungsprojekt hat näher untersucht, wie effizient und ökologisch sinnvoll bereits bekannte Recyclingmethoden sind. Erkenntnis: Während ein Recycling von Turm und Fundament, die aus Stahl und Beton bestehen und rund 90 Prozent des Gewichts einer Windkraftanlage ausmachen, vergleichsweise einfach ist, gelingt die sortenreine Wertstofftrennung bei den Rotorblättern nur mit großem Aufwand: Per Kohlenstofffaser verstärkte Kunststoffe (CFK) und mit Glasfaser verstärkte Kunststoffe (GFK) sind in den langen, hohlen Flügeln fest miteinander verbunden. Als Verbundstoff ermöglichen sie zwar einerseits die langfristig hohe Stabilität der Rotorblätter, erschweren andererseits aber auch die Wiederverwertung.
Die Branche ist sich einig: Windkraftanlagen sollen künftig zu 100 Prozent recycelbar sein – Anfang 2020 hat auch der europäische Branchenverband WindEurope diesen Plan ausgerufen. Bis dieses Ziel jedoch technisch erreicht ist, stellt sich für die vielen Rotorblätter zurückgebauter Altanlagen die Frage einer möglichst nachhaltigen Verwertung. Zwei junge Unternehmen zeigen, dass vielversprechende Ideen dazu aus der Start-up-Szene kommen: „Wings for Living“ aus Dresden zersägt Rotorblätter, um daraus stilvolle Garten- und Terrassenmöbel herzustellen. Und „Carbon Cleanup“ zerstückelt die Flügel in mobilen Aufbereitungsanlagen zu kleinen Pellets, die sich als sogenannte „Kurzfasern“ in Spritzgussanlagen oder im 3D-Druck zur Produktion von beispielsweise Möbeln oder Sonnenbrillen verwenden lassen.
Ein Stück Rotorblatt als Blickfang für den Garten oder die Terrasse – das klingt erst einmal nach einer verrückten Idee. Doch die ansehnlichen Resultate von „Wings for Living“ sprechen für sich: Das junge Unternehmen aus Dresden vertreibt robuste Outdoor-Möbel aus Teilen alter Windradflügel, die wie ausgefallene Designstücke aussehen. Für das einfallsreiche Upcycling „filetiert“ ein derzeit dreiköpfiges Team Rotorblätter aus einem Repowering-Projekt in Mecklenburg-Vorpommern. Dort haben die Flügel bereits 25 Jahre lang gute Dienste geleistet, der zurückgebaute Windpark versorgte rechnerisch rund 1.000 Haushalte mit Strom. Nun landen die Flügel – zersägt in kleine Teile – auf Terrassen und in Gärten, um in ihrem zweiten Leben Eleganz und Behaglichkeit auszustrahlen.
Mit herkömmlichem Werkzeug können die Mitarbeiter von „Wings for Living“ die Rotorblätter nicht zerteilen, eine handelsübliche Säge beispielsweise würde in dem mit Epoxidharz ummantelten Material regelrecht stecken bleiben. Notwendig für die Zuschnitte ist ein spezielles Sägeverfahren mit Draht. Rund vier Minuten dauert es auch damit immerhin noch, ein Rotorblatt zu durchtrennen. Im Partnerunternehmen Anmet in Szprotawa nahe der deutsch-polnischen Grenze erfolgt die Produktion der ästhetischen Wohnaccessoires. „Wir verlängern den Lebenszyklus der Flügel stillgelegter Windkraftanlagen auf formschöne Weise“, so Geschäftsführer André Schnabel.
2019 hörte Schnabel davon, dass Designstudierende des Instituts für Bildende Künste der Universität Zielona Góra Möbelstücke aus hohlen Rotorblättern fertigen. Von den ersten Prototypen war er begeistert – die Idee für „Wings for Living“ war geboren, eine Kooperation mit der polnischen Manufaktur Anmet folgte. Seitdem gehen die ungewöhnlichen Möbelstücke von „Wings for Living“ und damit Stücke altgedienter Rotorblätter in die ganze Welt. Das Angebot wächst ständig: Zu Liegen haben sich inzwischen Bänke, Sessel, Tische und sogar Hochbeete gesellt. „Der Kreativität sind beim Design keine Grenzen gesetzt“, so Schnabel. „Die Sitzflächen haben wir bislang aus Holz gefertigt, probieren aber bereits auch Alternativen zu Holz aus, beispielsweise ein aus Altkleidern und Altplastik bestehendes Material. Damit steigern wir den Upcycling-Faktor unserer Outdoor-Möbel auf 100 Prozent.“
Möbeldesigns von "Wings for Living"
Bei „Carbon Cleanup“ entsteht aus Rotorblättern wieder ein nutzbarer Wertstoff, mit dem sich industriell neue Gegenstände produzieren lassen. Das 2020 gegründete Start-up-Unternehmen aus Linz in Österreich setzt auf mobile Lösungen für das Recyceln von carbonfaserhaltigen Wertstoffen. „Es hieß immer, das Carbon-Recycling komplex und unwirtschaftlich ist“, so Werkstoffwissenschaftler und Unternehmensgründer Jörg Radanitsch. „Ich wusste, dass ich das Problem lösen kann.“
In transportierbaren Aufbereitungseinheiten sammelt „Carbon Cleanup“ Carbonteile von Flugzeugen oder Windkraftanlagen und behandelt sowie recycelt sie direkt vor Ort. Am Ende spucken die mobilen Recyclinganlagen Pellets aus, die als Recycling-Faser zur Verwendung in Spritzgussanlagen oder für den 3D-Druck dienen können. Über eine dazugehörige Softwarekomponente bilden Radanitsch und sein Team die benötigten Logistik- und Qualitätsprozesse für die Wiederaufbereitung ab. „Mit unserem mobilen Konzept können wir Carbonfasern idealerweise dort recyceln, wo sie ursprünglich anfallen. Somit gewinnt der gesamte Aufbereitungsprozess an Attraktivität und bringt den High-End-Werkstoff Carbon mit Nachhaltigkeitszielen in Einklang.“
Was so einfach klingt, ist das Ergebnis jahrelanger Entwicklungsarbeit. Die mobilen Systeme, die wie große Müllwagen ohne Räder aussehen, arbeiten mit hochdigitalisierten Prozessen. Im Inneren der Container senden Sensoren ständig Daten an ein lernfähiges, sich selbst optimierendes System. In Verbindung mit verschiedenen Maschinenparametern kann die Software den Recyclingvorgang so im Laufe der Zeit immer besser auf unterschiedlichste carbonfaserhaltige Materialien einstellen. Das gesamte Recyclingsystem von „Carbon Cleanup“ ist bereits zum Patent angemeldet, bis 2030 möchte das junge Unternehmen 100 Aufbereitungsanlagen im Einsatz haben – vielleicht werden es aber auch weitaus mehr, denn Gründer Jörg Radanitsch ist bereits mit seinem Start-up nach Kalifornien ins berühmte Silicon Valley gereist.
Die Linzer Lösung kam bei US-Investoren gut an, das Interesse an einer Nutzung in Übersee ist riesig. Sein Entwicklerteam hat „Carbon Cleanup“ bereits aufgestockt und im Linzer Süden einen neuen Standort mit mehr Platz bezogen. Dort läuft die Prototypen-Fertigung derzeit auf Hochtouren. Bis das erste Recyclingsystem von „Carbon Cleanup“ auch in Deutschland für die Verwertung von ausrangierten Rotorblättern zum Einsatz kommt, ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit.