Der ESG-Markt boomt
Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Klimawandel sind keine Nischenthemen mehr, für die sich lediglich umweltbewusste Verbraucher*innen und Umweltschutzaktivist*innen interessieren. Sie sind vielmehr voll in Gesellschaft und Politik angekommen. In der Wirtschaft hat sich die Sichtweise durchgesetzt, dass eine ökologische Katastrophe einem ökonomischen Fiasko gleichkäme. Die Frage, ob der Klimawandel zu bekämpfen ist, stellt sich längst nicht mehr – auch nicht unter Investoren, die im eigenen Interesse drohende Risiken begrenzen und künftige Ertragspotenziale nutzen möchten.
Das Werkzeug der Finanzwirtschaft für eine nachhaltigere, zukunftsorientierte Wirtschaft: Geldanlagen, die Ökologie, Soziales und gute Unternehmensführung berücksichtigen. Der sogenannte ESG-Markt („Environment, Social, Governance“) ist weltweit inzwischen mehr als zwei Billionen US-Dollar schwer. Nachhaltiges Investieren boomt – auch, weil die EU zunehmend Druck macht: Bereits heute sind Anlageberater von Banken verpflichtet, ihren Kund*innen nachhaltige Geldanlagen anzubieten. Und mit der sogenannten EU-Taxonomie müssen Unternehmen ab 2023 die Einhaltung detaillierter Kriterien und möglichst substanzielle Beiträge zu sechs Umweltzielen nachweisen, um als nachhaltig und damit als „investierbar“ im Sinne einer grünen Geldanlage zu gelten.
Fonds und Anleihen für mehr Klimaschutz
Die Strategieberatung des Wirtschaftsprüfers PwC prognostiziert, dass in Europa bis zum Jahr 2025 bereits 57 Prozent des gesamten Fondsvermögens in Fonds angelegt sein dürften, die ökologische, soziale Faktoren und verantwortungsbewusste Geschäftspraktiken berücksichtigen. Ebenfalls interessant: 77 Prozent der von PwC befragten institutionellen Investoren gaben an, dass sie innerhalb der nächsten zwei Jahre keine Finanzprodukte mehr kaufen möchten, die nicht an Nachhaltigkeit orientiert sind.
Mai 2020 | Juni 2020 | September 2020 | Dezember 2020 | März 2021 | Juni 2021 | |
Zeitraum | 107 | 120 | 129 | 147 | 335 | 361 |
Nachhaltige Geldanlagen boomen. In Deutschland waren Stand Juni 2021 bereits 361 Milliarden Euro in Fonds investiert, die Geld nach nachhaltigen Kriterien anlegen. (Quelle: BVI)
Auch die EnBW ermöglicht es Anlegern, in klimaschützende Projekte zu investieren – etwa mit einer jüngst ausgegebenen grünen Unternehmensanleihe im Volumen von 500 Millionen Euro, deren Erlöse in den Ausbau der Wind- und Solarenergie sowie den Bau von Schnellladesäulen für Elektromobilität fließen sollen. Während Anleger hier genau wissen, wofür ihr Geld Verwendung findet, ist dies insbesondere bei breitgestreuten Fonds nicht immer klar und transparent – oft kam in letzter Zeit im Zusammenhang mit vermeintlich nachhaltigen Geldanlagen der Vorwurf des „Greenwashings“ auf. Wie können Anleger also sichergehen, dass ihr Geld tatsächlich Gutes bewirkt?
Darüber und über die Bedeutung nachhaltiger Geldanlagen überhaupt sprechen wir mit Dr. Christian Klein, Professor für „Sustainable Finance“ an der Universität Kassel. In seiner Forschungsarbeit beschäftigt Prof. Klein sich unter anderem mit der Messung des Beitrags, den nachhaltige Anlageprodukte zur Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs) leisten können und der zugrundliegenden Motivation von Investoren mit nachhaltigem Ansatz. Er ist Mitbegründer der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance Deutschland und arbeitet mit seiner Expertise dem Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung zu.
Herr Professor Klein, Nachhaltigkeit wird gerade zum neuen Investmentstandard. Wird dieser Trend anhalten?
Nachhaltige Geldanlagen sind gekommen, um zu bleiben. Das ist kein vorübergehender Hype mehr. Ich beschäftige sich seit mehr als zehn Jahren in der Forschung ausschließlich mit dem Thema „Sustainable Finance“ oder „Nachhaltige Finanzwirtschaft“. Ich durfte dabei sein, als das Thema aus der Nische in den Mainstream gerutscht ist. Das wurde auch höchste Zeit. An Nachhaltigkeit führt im Finanzsektor kein Weg mehr vorbei – wenn auch nicht ganz freiwillig. Denn es hat sich gezeigt, dass die EU-Kommission das Pariser Klimaschutzabkommen sehr ernst nimmt. Mit einer Menge an Verordnungen zwingt Brüssel Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit. Das neue Bewusstsein für die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Risiken des Klimawandels hat zur Folge, dass bestimmte Unternehmenskonzepte in Zukunft schlicht nicht mehr funktionieren dürften. Solche Konzepte in Zukunft weiterhin zu finanzieren, stellt auch für die Banken eine Gefahr dar, die ihre Risiken begrenzen und darüber hinaus ebenfalls ihre Nachhaltigkeitsbeiträge nachweisen müssen.
Worum geht es beim nachhaltigen Investieren im Kern eigentlich?
Wenn wir momentan über „Sustainable Finance“ sprechen, dann ist mit „Nachhaltigkeit“ vor allem „Klimawandel“ gemeint. Der Umbau zur Klimaneutralität funktioniert nur, wenn sich alle Geschäftsmodelle so ändern, dass sie zu den Zielen beitragen, die Erderwärmung auf zwei Grad oder besser 1,5 Grad begrenzen. Die EU-Kommission hat erkannt, dass für die notwendigen Investitionen zum Klimaschutz Steuergelder und öffentliche Mittel nicht reichen und private Mittel notwendig sind. So kam die EU-Kommission auf das Thema „Sustainable Finance“. Wir werden hier in den nächsten Jahren massive Regulierungen sehen – mit starken Auswirkungen etwa auf die Finanzprodukte, die Banken und das Risikomanagement. Davon sehen wir gerade die Vorläufer: Alle Banken fangen derzeit an, sich darauf vorzubereiten. Bei einer nachhaltigen Finanzwirtschaft geht es dann darum, die Geldströme auf den Finanzmärkten so umzuleiten, dass sie nur noch in Geschäftsmodelle fließen, die mit den Klimazielen kompatibel sind.
Wären strengere staatliche Reglementierungen beim Umweltschutz nicht das einfachere Mittel?
Die Lösung für unser Klimawandelproblem wäre ein weltweiter, ehrgeiziger CO₂-Preis. Punkt. Dann bräuchten wir kein „Sustainable Finance“. Das ist aber politisch nicht umsetzbar, deshalb versucht die EU es durch die Hintertür quasi. Tariq Fancy, der bis 2019 bei Blackrock Chef für nachhaltiges Investieren war, hat jüngst den Weg über die Finanzindustrie kritisiert und eine von den G7-Staaten oder den G20-Ländern koordinierte CO₂-Steuer gefordert. Erst danach könnten die Finanzmärkte die Steuerungsfunktion übernehmen. Damit sagt Tariq Fancy, dass der Finanzindustrie nicht die Hausaufgaben der Politik aufzubürden seien.
Ja, ich bin hier ein unverbesserlicher Optimist und glaube, dass die Finanzindustrie einen Beitrag leisten kann und sich auch selbst ändern muss. Und ich bin hier sehr enthusiastisch, weil sich gerade so viel tut. Vor ein paar Jahren noch hat niemand wirklich gewusst, was „Sustainable Finance“ überhaupt ist. Was allerdings allein in den vergangenen drei Jahren geschehen ist, hat mich schon verblüfft. Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, können wir viel erreichen.
Nachhaltige Investments können also wirklich die Welt oder das Klima verbessern?
Die Finanzindustrie hat vielleicht sogar die größte Chance, Lösungen voranzutreiben. Denn wir alle wissen: Geld bewegt die Welt. Dreht man einem Geschäftsmodell den Geldhahn zu, hat sich dieses Geschäftsmodell erledigt. Das ist der Hebel, den gerade alle erkannt haben. Die Geldströme bewusst umzuleiten, könnte daher viel verändern und nicht nur unser Klimaproblem lösen. Es wird ja längst viel weitergedacht: Die Sustainable Development Goals (SDGs) liefern ein sehr gutes und weit entwickeltes Set an Nachhaltigkeitszielen. Und es gibt derzeit mehrere Ansätze, wie sich deren Zielerreichungsgrad quantifizieren und somit messen lässt.
Haben nachhaltige Geldanlagen denn nachweislich einen „Impact“?
Der Weg, über Geldanlagen Entwicklungen zu mehr Nachhaltigkeit zu beschleunigen, ist ja noch relativ neu und wird daher derzeit in der Wissenschaft noch heiß diskutiert. Fest steht: Es gibt einen großen Unterschied zwischen „keinen Schaden anrichten“ und „etwas Gutes bewirken“. Beim Klimawandel geht es etwa um die Frage, wie wir die Klimaschutzziele des Pariser Abkommens erreichen können. Da ist ein Ansatz, beispielsweise nicht mehr in die Ölindustrie zu investieren, um weiteren Schaden für das Klima abzuwenden. Wir sehen ja gerade viele Fonds entstehen, die Aktien von beispielsweise Windkraftunternehmen oder Konzernen wie Tesla bündeln und Konzerne mit klimaschädlichen Geschäftsmodellen meiden, um der Umwelt nicht weiter zu schaden. Ein absolut legitimer Ansatz. Eine wiederum völlig andere Fragestellung ist, wie ich die Finanzindustrie aktiv nutzen kann, um den Klimawandel aufzuhalten. Anleger verlangen hier etwa, dass ihr Geld dazu beiträgt, die Erderwärmung zu begrenzen. Das ist eine ganz andere Art, das Problem des Klimawandels anzugehen. Diese beiden Ansätze des nachhaltigen Investierens geraten im Moment in der Diskussion oft durcheinander, da gibt es viele Missverständnisse.
Wenn ich etwa eine Tesla-Aktie kaufe, trage ich nicht zum Klimaschutz bei?
Was passiert denn genau, wenn ich am Sekundärmarkt eine Tesla-Aktie kaufe? Erst einmal nichts, denn ich habe lediglich einem anderen Anleger eine Tesla-Aktie abgekauft. Trotzdem ist dieser Ansatz legitim, denn zumindest habe ich nicht – wie andere Marktteilnehmer – in Kohle oder Öl investiert. Aktiv etwas gegen den Klimawandel zu tun, ist aber ein anderer Ansatz. Da reicht es nicht, etwa einen Fonds zu wählen, der lediglich umweltschädliche Unternehmen meidet. Es gibt viele Projekte, die aktiv den Klimaschutz vorantreiben möchten – darunter auch viele grüne Start-ups mit teilweise verrückten Ideen. Das Problem ist, dass viele solcher Investments natürlich hochriskant und daher insbesondere für Privatanleger nicht empfehlenswert sind. Zwar würden viele Menschen sagen, dass sie neue Unternehmen mit Ideen im Kampf gegen den Klimawandel durchaus unterstützen würden, es dann tatsächlich aber wegen der Risiken nicht tun.
Aber was ist dann der Ausweg, wie können Anleger denn aktiv den Klimaschutz vorantreiben?
Ich beschäftige mich zwar schon sehr lange mit „Sustainable Finance“, aber erst seit rund drei Jahren tut sich etwas in dem Thema. Wir Deutschen sind da sehr dogmatisch, das ist typisch: Nachhaltige Geldanlagen sollen bitteschön dann auch sofort die Welt retten, den Klimawandel aufhalten – überspitzt gesagt ist das gerade die Diskussion. Ich möchte da aber gerne einmal etwas die Luft rauslassen, zumal in der öffentlichen Debatte oft gar keine Einigkeit darüber besteht, was unter Nachhaltigkeit überhaupt zu verstehen ist. Es gibt ja verschiedene Facetten der Nachhaltigkeit. Ist ein CO₂-neutrales Unternehmen wie Google nachhaltig? Oder ist Apple nachhaltig? Wenn Sie auf die Mitarbeiterpolitik von Apple schauen, ist die sehr fortschrittlich und sozial betrachtet relativ nachhaltig. Dürften diese Unternehmen also in einem nachhaltigen Fonds enthalten sein? Oder wollen wir dort – das meine ich mit dogmatisch – nur Windradhersteller sehen? Im besten Fall noch mit hoher Frauenquote im Vorstand und der Garantie, dass in der gesamten weltweiten Wertschöpfungskette keinerlei Kinderarbeit stattfindet? Wenn es solche Unternehmen überhaupt gibt, dann sicherlich noch viel zu wenige. Damit können sie dann aber keinen Fonds auflegen, der diversifiziert ist.
Was ist denn der Ausblick, müssen wir nur Geduld haben?
Meine Botschaft ist: Super, dass wir endlich anfangen, uns über nachhaltiges Investieren Gedanken zu machen. Erwarten wir nicht, dass wir damit sofort die Welt retten können. Fangen wir beim Investieren erst einmal an, zumindest keinen Schaden mehr anzurichten. Wenn wir ernsthaft das Klimaschutzabkommen von Paris erreichen möchten, geht es um eine echte Transformation der Wirtschaft, da müssen sich noch viele Unternehmen bewegen. Vor allem wird dieser Wandel sehr, sehr teuer. „Sustainable Finance“ lenkt die Geldströme in nachhaltige Geschäftsmodelle um, was die EU derzeit stark vorantreibt. Die EU-Taxonomie etwa ist ein echter Game-Changer und hat das Potenzial, dass wir Nachhaltigkeit in einigen Jahren völlig anders sehen. Viele Unternehmen sind durch die neuen Berichtspflichten gezwungen, sich eingehender als je zuvor mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen und machen sich zunehmend Gedanken, wie sie ihre Nachhaltigkeitsperformance verbessern können. Anleger werden in Zukunft mehr und mehr in Unternehmen investieren können, die aktiv etwas gegen den Klimawandel tun, da bin ich sehr optimistisch. Und dann hat Geld wirklich das Potenzial, die Welt zu retten …