Grüner Wasserstoff (H₂) gilt als Schüsselelement für die Energiewende. Das Gas erzeugt bei der Produktion und beim Verbrennen praktisch keine klimaschädlichen Emissionen: Das macht grünen Wasserstoff zur nachhaltigen Alternative zu Kohle, Öl und Erdgas. Neueste Erkenntnisse zeigen: Der Wasserstoffbedarf ist größer und wird schneller steigen, als bislang erwartet. 2040 wird allein in Baden-Württemberg mit 91 Terawattstunden (TWh) etwa doppelt so viel Wasserstoff benötigt, wie noch vor zwei Jahren angenommen. Das ergab eine erste Auswertung der Bedarfsabfrage der EnBW-Tochter terranets bw unter der Schirmherrschaft des Landes Baden-Württemberg, an der sich mehr als 500 Unternehmen beteiligt haben. Ein signifikanter Anstieg ist besonders im Industriesektor zu sehen: nicht nur in energieintensiven Branchen, sondern auch im Maschinenbau oder der Nahrungs- und Futtermittelindustrie. „Es geht bei der Energiewende nicht nur um Strom, sondern um die ganzheitliche Dekarbonisierung. Die Bedeutung von Wasserstoff für die deutsche Volkswirtschaft ist immens“, sagt Dirk Güsewell, COO Systemkritische Infrastruktur bei der EnBW.
Jahre | Prognose 2021 | Prognose 2023 |
2032 | 32 | 52 |
2035 | - | 74 |
2040 | 53 | 91 |
Stand: November 2023
Steigt schneller als erwartet: Knapp 500 Meldungen von Kraftwerken, Industrieunternehmen und regionalen Netzbetreibern prognostizieren einen hohen Wasserstoffbedarf. Quelle: Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg
Damit die Transformation hin zu mehr Wasserstoff gelingen kann, muss auch das Transportnetz H₂-ready sein. Ein wichtiger Schritt hierfür ist der Aufbau eines deutschen Wasserstoffkernnetzes. Gemeinsam mit der Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber (FNB Gas e. V.), darunter auch twerranets bw, plant das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bis 2032 ein 9.700 Kilometer langes Netz, das Deutschland zum Herzstück der europäischen Wasserstoffinfrastruktur machen soll. Dabei ist es wirtschaftlich und klimapolitisch sinnvoll, neben dem gezielten Neubau von Strecken auch große Teile des bestehenden Erdgasnetzes zu nutzen: Im Vergleich zu einem Neubau liegen die Kosten für die Umstellung bei 10 bis 35 Prozent. Bereits 2025 soll in Deutschland Wasserstoff fließen. „Wir wissen, dass wir keine Zeit zu verlieren haben“, sagt Thomas Gößmann, Vorsitzender des FNB Gas. „Die Bagger müssen nächstes Jahr rollen.“
In Baden-Württemberg kommt für den Wechsel auf Wasserstoff unter anderem die Infrastruktur von terranets bw zum Einsatz. Mit einem rund 2.750 Kilometer langen Hochdruckleitungsnetz transportiert die EnBW-Tochter Erdgas von Niedersachsen bis an den Bodensee. Das Unternehmen beteiligt sich an verschiedenen Wasserstoff-Projekten.
Wasserstoff hat eine geringere Energiedichte und andere stoffliche Eigenschaften als Erdgas. Daher müssen Netzbetreiber ihre bestehende Infrastruktur für den Wasserstofftransport vorbereiten. Grundsätzlich sind die Gasleitungen gut geeignet für eine Umstellung auf den Transport von Wasserstoff. Einzelne Einbauteile oder Komponenten sind anzupassen oder auszutauschen.
Im ersten Schritt werden im Rahmen der Integritätsbewertung alle Komponenten auf ihre Wasserstofftauglichkeit überprüft. Das wird beispielsweise über sogenannte Inspektions-Molchungen ermittelt: Dabei handelt es sich um ein Verfahren, bei dem ein mit Sensoren ausgestattetes Prüfgerät durch die Leitung geschickt wird.
Im zweiten Schritt werden die nicht geeigneten Komponenten ausgetauscht und durch einen unabhängigen Sachverständigen für den Betrieb freigegeben. Dann wird der Leitungsabschnitt gereinigt und mit Stickstoff gespült, bevor er mit Wasserstoff befüllt wird.
Die Integritätsbewertung wird ebenso wie die Umstellungsplanung durch die terranets bw nach Leitungsabschnitten umgesetzt. Die technische Umstellung der Infrastruktur wird im Netzgebiet der terranets bw zwischen 2030 und 2040 nach Verbrauchsregionen erfolgen – entsprechend der lokalen Bedarfsentwicklung.
Alle Neu- und Umbaumaßnahmen setzt die terranets bw schon heute wasserstofftauglich (H₂-ready) um. Wie zum Beispiel die Neckarenztalleitung, die terranets bw im Dezember 2022 in Betrieb genommen hat. Dank besonderer Schweißverfahren und wasserstofftauglichem Stahl ist die Leitung für den Transport beider Energieträger geeignet.
Einmal quer durch Deutschland: Unter dem Projektnamen Flow – making hydrogen happen soll ab 2025 eine leistungsstarke Nord-Süd-Transportroute für Wasserstoff entstehen. Die terranets bw hat sich dafür mit den Netzbetreibern GASCADE und ONTRAS zusammengetan. ONTRAS ist eine Tochtergesellschaft der EnBW, die das Erdgasfernleitungsnetz in Ostdeutschland betreibt. „Wir erwarten, dass der Norden Deutschlands das Zentrum für Wasserstoffimporte und Wasserstofferzeugung onshore und offshore wird“, sagt Felix Rolli, Leiter Markt, Kunde, Politik bei der terranets bw. „Dadurch entsteht künftig ein erheblicher Transportbedarf in Richtung Süden, wie es bereits heute bei erneuerbarem Strom der Fall ist.“
Das geplante Pipelinesystem für grünen Wasserstoff wird 1.100 Kilometer umfassen und sich aus den verschiedenen Pipelines der Kooperationspartner GASCADE und ONTRAS zusammensetzen. In einem ersten Schritt erfolgt ab 2025 die Umstellung von Mecklenburg-Vorpommern bis Thüringen. Bis 2028 sollen die Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz eingebunden sein, ab 2030 dann Baden-Württemberg. „Im Zusammenschluss können wir mit Flow ein leistungsstarkes Pipelinesystem erreichen“, sagt Rolli. „Über GASCADE und ONTRAS und die Infrastruktur weiterer Projektpartner wird Flow Teil des europäischen Wasserstoffnetzes, des sogenannten European Hydrogen Backbone. Baden-Württemberg wird durch verschiedene Routen mit Erzeugungsschwerpunkten verbunden sein. So kann auch über Frankreich und Bayern zukünftig Wasserstoff aus Italien, Spanien und Nordafrika bezogen werden.“
Europa hat das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden und bis 2030 mindestens 55 Prozent der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 einzusparen. Zu diesem Zweck soll der Ausbau von Solar- und Windenergie EU-weit massiv beschleunigt werden. Viele Bereiche in der Industrie, im Verkehr oder im Wärmesektor lassen sich jedoch kaum oder gar nicht elektrifizieren – sie sind bislang auf fossile Energieträger angewiesen. Hier bietet grüner Wasserstoff eine klimaneutrale Lösung, für die es künftig ein europaweites Pipelinenetz geben soll. Derzeit engagieren sich Unternehmen aus 28 Ländern in der Initiative European Hydrogen Backbone. Bis 2040 wollen die beteiligten Betreiber eine etwa 53.000 km lange Pipeline-Infrastruktur zur Verfügung stellen und gemeinsam den Markthochlauf des klimaschonenden Wasserstoffs fördern.
Eine Anbindung Süddeutschlands ans französische Wasserstoffnetz soll das grenzüberschreitende Projekt RHYn Interco ermöglichen, das die terranets bw derzeit mit dem Verteilernetzbetreiber badenovaNETZE und dem französischen Gasinfrastrukturbetreiber GRTgaz vorantreibt. Bis 2028 sollen mit dem Neubau einer Verbindung nach Frankreich und der Umstellung bestehender Gasleitungen Großabnehmer bei Freiburg angebunden. Durch die Umstellung eines weiteren Abschnitts könnte das Netz bis 2035 nach Offenburg erweitert werden.
Auf der Plattform ihrer Initiative „Wasserstoff für Baden-Württemberg“ (www.h2-fuer-bw.de) teilt terranets bw Informationen zu Planungen, konkreten Umstellungsprojekten und ermittelt Wasserstoff-Bedarfe. „Wir zeigen transparent auf, in welchen Regionen wann und wie viel Wasserstoff gebraucht wird“, sagt Christoph Luschnat, Koordinator Wasserstoff und Leiter Energiepolitik bei der terranets bw. „Nur so können wir in Zukunft Angebot und Nachfrage passgenau zusammenbringen.“
Unter der Schirmherrschaft des Landes Baden-Württemberg beteiligt sich die terranets bw an der Kampagne zur Ermittlung der Wasserstoff-Bedarfe. „Wir wollen unseren Beitrag als Transportnetzbetreiber für den Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft leisten“, betont Geschäftsführerin Katrin Flinspach. „Für die Planung einer leistungsfähigen Infrastruktur brauchen wir eine belastbare Datengrundlage.“
Information und Termine zur Kampagne sind auf der Plattform H2BW zu finden.