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Ob Wind oder Wasser, Sonne oder Biomasse – rund 60 Prozent des in Deutschland produzierten Stroms kommt heute aus erneuerbaren Energien. Die Zahl der Erzeugungsanlagen wächst weiter – und das ist auch gut so. Doch Zubau-Pläne allein werden die Energiewende nicht zum Erfolg führen. Denn jedes Jahr gehen Millionen Kilowattstunden verloren. Das hat unterschiedliche Gründe: Mal fehlen geeignete Speicher. Dann wieder reichen die Netze nicht aus, um erneuerbare Energie zu den Verbrauchern zu bringen, mit der Folge, dass Erzeugungsanlagen weniger produzieren. In manchen Fällen ist auch die Technik nicht auf der Höhe der Zeit, was die Ausbeute schmälert. Mit klugen Ideen auf ganz unterschiedlichen Feldern lassen sich diese und andere verzwickte Probleme lösen. Wie das gelingen kann, zeigen unsere fünf Beispiele.
Wind oder Sonne? Am besten beides.
Herausforderung:
Wind und Sonne liefern Energie im Überfluss, wenn das Wetter mitspielt. Bedecken Wolken den Himmel, fällt die Leistung von Solaranlagen. Herrscht Flaute, dann stehen die Windparks still. Solche Schwankungen in der Erzeugung haben Einfluss auf das Stromnetz. Doch auch bei günstigem Wetter läuft nicht immer alles nach Plan – und zwar dann, wenn es für den vielen Strom keine Abnehmer gibt. Dann müssen Anlagen von den Netzbetreibern abgeregelt werden, um das Gleichgewicht im Stromnetz wieder herzustellen.
Lösung:
Kombi-Anlagen nutzen den Umstand, dass die Sonne oft scheint, wenn es windstill ist und bei wolkenverhangenem Himmel meist eine Brise weht. Deshalb koppeln sie Windkraft und Photovoltaik am selben Ort. Vorteil: Strom lässt sich gleichmäßiger einspeisen, was die Netzstabilität verbessert.
Die EnBW stellt derzeit mit Partnern nahe Heilbronn ein Kombi-Projekt auf die Beine. Der Energiepark Gundelsheim ist so groß wie 90 Fußballfelder und geht ab 2025 in Betrieb. Die Photovoltaikanlagen nimmt einen großen Teil der Fläche ein. Knapp 110.000 Solarmodule sollen rechnerisch Strom für fast 24.000 Haushalte erzeugen. Ab 2027 werden zwei hochmoderne Windkraftanlagen mit einer Leistung von jeweils 5,6 Megawatt hinzukommen, was für 6600 Haushalte reicht.
Und was passiert, wenn die Anlagen in Gundelsheim mehr Strom erzeugen, als sich ins Netz einspeisen lässt? Dafür ist vorgesorgt. Die EnBW rüstet den Standort, wie die meisten neuen Solarparks, mit einem Speicher aus. Er besteht aus gebrauchten Lithium-Ionen-Akkus aus dem Audi E-Tron und einer neuen Großbatterie, die statt Lithium einfacher zu beschaffendes Natrium enthält. Beide Systeme zusammen machen den Speicher besonders flexibel. Sie kombinieren schnelle Ladezeiten, lange Lebensdauer, Kosteneffizienz und Umweltfreundlichkeit.
Eines der größten Projekte in Deutschland ist das Energiedorf Feldheim in Brandenburg. Ähnliche Vorhaben gibt es auch in Großbritannien, Spanien, Dänemark und den Niederlanden. Ihre genaue Zahl ist schwer zu ermitteln, weil Statistiken die Erzeugung aus Wind und Sonne meist einzeln erfassen. Kombi-Anlagen müssen sorgfältig geplant werden. Denn Windräder werfen Schatten auf die darunterliegenden Solaranlagen, was die Erträge schmälern kann. Durch eine optimale Anlagenplanung lässt sich der Effekt jedoch in Grenzen halten.
Heiße Steine: Aus Strom mach Wärme
Herausforderung:
Industriebetriebe, die etwa Glas- oder Keramik herstellen, müssen riesige Öfen heizen. Bislang setzten sie meist auf Erdgas, das in vielen Fällen durch grünen Strom ersetzt werden muss. Vor allem Großabnehmer wollen Elektrizität aber möglichst dann einkaufen, wenn der Marktpreis niedrig ist. Das heißt, sie müssen Energie speichern. Doch Stromspeicher sind teuer und nur für wenige Stunden ausgelegt. Wärmespeicher hingegen halten Energie für mehrere Tage.
Lösung:
Die Idee kam Materialforscher Martin Schichtel, als er einen TV-Bericht über Beton als Wärmespeicher sah. Im Lauf der Jahre entwickelte sich daraus eine Geschäftsidee. Heute verarbeitet seine Firma Kraftblock Schlacke aus Hochöfen zu einem Granulat. Die synthetischen Kieselsteine können Temperaturen bis 1300 Grad Celsius über mehrere Tage speichern. Eine hochinteressantes Verfahren für Industriebetriebe, die viel Wärme für ihre Produktionsprozesse benötigen.
Ein Pilotprojekt betreibt Kraftblock mit dem Nahrungsmittelkonzern PepsiCo in einem Werk für Kartoffelchips nahe Amsterdam. Jedes Jahr gehen von hier aus rund eine Million Chips-Tüten in acht europäische Länder. Bislang wurde das Frittieröl mit Hilfe von Erdgas erhitzt, künftig soll das nur noch mit Strom aus erneuerbaren Quellen geschehen – und dem Wärmespeicher von Kraftblock. Die Pilotanlage betreibt der Energieversorger Eneco. Sie soll 2024 in Betrieb gehen.
Repowering – gleiche Fläche, mehr Ertrag
Herausforderung:
Rund ein Fünftel des Stroms in deutschen Netzen kommt aus der Windkraft. Einen großen Teil davon erzeugen die fast 28.700 Anlagen an Land mit einer Leistung von 62 Gigawatt. Viel, aber nicht genug. Denn bis 2030 plant die Bundesregierung mit 115 Gigawatt Onshore-Leistung. Also muss der Ausbau im Turbo-Tempo vorangehen? Schwierig, denn Flächen sind knapp und lassen sich nur in langwierigen Verfahren erschließen.
Lösung:
In Deutschland werden jedes Jahr Windräder abgebaut, weil sie zu alt sind und damit unwirtschaftlich oder weil die Förderung ausläuft. Statt die Standorte stillzulegen, bietet es sich oft an, an derselben Stelle leistungsfähigere Anlagen der neuesten Generation aufzustellen. Das nennt sich Repowering. So kann ein Windpark mit weniger Turbinen mehr Leistung erzeugen. Repowering am selben Ort spart Aufwand, weil die Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz einfacher sind. Aber auch die Akzeptanz der Bevölkerung ist höher, weil die Windräder bereits zum Landschaftsbild gehört haben. Dadurch gibt es weniger kräftezehrende Debatten im Vorfeld – und die Energiewende erhält zusätzlichen Schub.
Noch spielt Repowering eine Nebenrolle, aber die Effekte lassen sich belegen wie Daten des Beraters Deutsche WindGuard belegen. Danach stieg im ersten Halbjahr 2024 die installierte Leistung der Windenergie an Land um 1,5 Prozent, während die Zahl der Anlagen leicht zurückging.
Wie Repowering in der Praxis aussieht, zeigt ein Beispiel der EnBW in Sachsen-Anhalt. Der Windpark Düsedau umfasste früher fünf Anlagen mit jeweils 1,5 Megawatt Leistung und einem Rotordurchmesser von 72 Metern. Die Turbinen wurden abgebaut und durch vier neue Windräder ersetzt – mit jeweils 5,6 Megawatt Leistung und einem Durchmesser von 150 Metern. Heute erzeugt der kleinere Windpark etwa drei Mal so viel Energie wie zuvor.
* brutto, ** 1. Halbjahr; Quelle: BWE/Deutsche WindGuard
Biomasse lohnt nicht? Doch!
Herausforderung:
Biomasse ist klimaneutral, denn sie gibt beim Verbrennen nur so viel CO₂ ab wie die Pflanzen zuvor aufgenommen haben. Ihr Anteil an der Energieversorgung ist allerdings gering und lässt sich nicht problemlos steigern. Dennoch können Holz- und Pflanzenreste einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Lösungssuche am Beispiel eines Fernwärmenetzes.
Lösung:
Manfred und Bernd Bauer kommen aus der Landwirtschaft. Doch den Hof der Eltern betreiben sie heute nur noch nebenher. Stattdessen stiegen sie schon Ende der 1990er Jahre ins Energiegeschäft ein. Zu ihrem Unternehmen gehört heute ein klimaneutral betriebenes Fernwärmenetz, das mittlerweile die Städte Bad Rappenau und Bad Wimpfen versorgt.
Das eigene Biomasseheizwerk nutzt zur Wärmeerzeugung vor allem Holzabfall, den die Brüder aus der Region beziehen. Dem Wachstum des Fernwärmenetzes sind jedoch Grenzen gesetzt, denn der Nachschub an Biomasse ist beschränkt. Gerade mal 20 Prozent des deutschen Energiebedarfs ließe sich damit decken, sagt Manfred Bauer.
Aus diesem Grund setzen die Brüder auf eine Solarthermieanlage, die Wärme aus Sonnenstrahlen erzeugt. Mit einer Leistung von zwei Megawattpeak könnte sie rechnerisch bis zu 1500 Einfamilienhäuser versorgen. Ab 2026 soll die Freiflächenanlage bis zu 30 Prozent der verkauften Wärme bereitstellen. Sie könnte damit mehr als den gesamten Wärmebedarf im Sommer decken. „Die in dieser Zeit angelieferten Holzabfälle verarbeiten wir, um sie für den Winter einzulagern“, sagt Manfred Bauer. Dank dieser Lösung steht genug Brennmaterial zur Verfügung, um noch mehr Gebäude in der Umgebung klimaneutral mit Fernwärme zu versorgen.
“Meins und Deins“ war gestern: klimaneutrale Energie als Gemeinschaftsprojekt
Herausforderung:
Meine Solaranlage, dein Windrad, meine Wärmepumpe – meist profitieren nur kleine Gruppen oder einzelne Personen von nachhaltiger Energietechnik. Dabei würden die Anlagen zusammen viel effizienter arbeiten. Beispiel Energieverbund: Die Beteiligten vernetzen ihre Wärme- und Kältekreisläufe, eine Energiezentrale sorgt für Strom und Heizung. So geht kaum Energie verloren. Im Zentrum des Verbunds steht meist ein Blockheizkraftwerk, das mit fossilem Erdgas betrieben wird. Doch klimaneutrale Lösungen sind möglich.
Lösung:
Die Stadt Waldbronn setzt seit 2017 mit Hilfe der EnBW auf einen Energieverbund. Die Partner profitieren von einer intelligenten Vernetzung der Wärme- und Kältekreisläufe von Unternehmen und städtischen Einrichtungen. Auf diese Weise wird unter anderem ein Freibad geheizt und eine Eissporthalle betrieben. Herz des Verbunds ist eine Energieverbundzentrale mit hocheffizientem Blockheizkraftwerk, das Strom und Wärme mit Erdgas erzeugt. Doch dabei wird es nicht bleiben.
Eine neue Großwärmepumpe nutzt künftig Abwärme eines beteiligten Unternehmens und versorgt damit zusätzlich Teile eines neuen Wohnquartiers mit Nahwärme. „Der gesamte Verbund lässt sich so zu 70 Prozent mit erneuerbarer Energie betreiben“, sagt Projektleiter Markus Ott. Und das ist nicht das letzte Wort. Denn das vorhandene Blockheizkraftwerk ist H₂-ready wie es in der Fachsprache heißt. Wenn in den kommenden Jahren genug Wasserstoff aus grünem Strom hergestellt werden kann, lässt sich der Energieverbund vollständig klimaneutral betreiben.