Klimaschutz und Wirtschaft: häufig als natürliche Gegensätze in Szene gesetzt. In Wirklichkeit sind Unternehmen unterdessen ein großer Hebel für die ökologische Transformation – vor allem einer, der unterschätzt wird. In diesem Gespräch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wird klar, warum.
Das Interview zum Anhören
Redaktion: Wie hat sich die Rolle der Energiewirtschaft für den Klimaschutz in den vergangenen zehn Jahren geändert?
Brigitte Knopf: Ich würde das so beschreiben: vom Ausstieg in den Einstieg. Für mich stand die Energiewirtschaft lange Zeit für den Ausstieg aus der Atomenergie und dann für den Ausstieg aus der Kohle. Jetzt geht es um den Einstieg in eine erneuerbare Energieversorgung. Galt sie früher oft als Bremser, ist die neue Energiewirtschaft heute zu einem wichtigen Treiber der Energiewende geworden, weil sie über eine verstärkte Elektrifizierung den Weg zur Treibhausgasneutralität zu einem großen Teil ermöglicht.
Redaktion: Und wie stellt sich das aus Sicht der EnBW dar?
Katharina Klein: Früher hieß es „Geld verdienen oder Klimaschutz“ und heute heißt es „Geld verdienen mit Klimaschutz“. Dahinter steckt ein Paradigmenwechsel. Ich erinnere mich an Diskussionen, vor meiner Zeit bei der EnBW, in denen man deutlich die Gräben zwischen Wirtschaftsunternehmen und Umweltverbänden gespürt hat. Die großen Konzerne wurden als böse wahrgenommen. Das waren alte Dinosaurier und auf der anderen Seite standen die Weltretter, die Klimaschutz mit aller Radikalität gefordert haben. Das Pariser Klimaschutzabkommen war eine Zäsur: Alle Nationen haben sich gemeinsam dazu bekannt, dass beim Klimaschutz alle handeln müssen. Das hat auch in der Wirtschaft dazu geführt, dass festgefahrene Meinungen aufgebrochen sind. Es ging auf einmal nicht mehr darum, ob wir Klimaschutz machen, sondern wie wir es gemeinsam hinbekommen. Bezogen auf die Energiewirtschaft und die EnBW wurde konsequent der schrittweise Umbau von einer zentralen auf wenige Kraftwerke fokussierten Energieversorgung zu einer dezentralen, erneuerbaren Energiewelt vorangetrieben. Heute geht es mehr denn je darum, den Kontakt mit Bürger*innen aktiv zu suchen und über die Energieerzeugung und Infrastruktur zu sprechen; Teilhabe zu ermöglichen. Die Bedürfnisse und Lebenswelten unserer Kund*innen, seien es Kommunen oder Bürger*innen, stehen im Mittelpunkt.
Früher hieß es „Geld verdienen oder Klimaschutz“, heute heißt es „Geld verdienen mit Klimaschutz“.
Redaktion: Frau Knopf, als promovierte Physikerin betrachten Sie die Transformation aus der naturwissenschaftlichen und der gesellschaftlichen Perspektive. Für was schlägt Ihr Herz mehr?
Brigitte Knopf: Wir haben die naturwissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel im Wesentlichen verstanden. IPCC-Berichte belegen glasklar, dass menschengemachte Emissionen zum Klimawandel führen. Das ist die Grundlage. Aber jetzt darf es nicht mehr um das Problem gehen, sondern es muss um die Lösungen gehen. Deswegen habe ich mich der Ökonomie und den Gesellschaftswissenschaften zugewandt. Denn die Wirtschaft hat die Aufgabe, herauszufinden, wie sie mit Klimaschutz harmoniert und welche neuen Produkte und Systeme wir brauchen. Es wird auch viel über Technologien gesprochen, aber das allein reicht nicht. Diese neuen Technologien rücken viel näher an die Menschen heran – von Smart Home bis hin zu Elektromobilität. Die Leute überlegen sich, welches Auto sie kaufen oder ob sie eine Ladestation vor der Tür brauchen. Klimaschutz ist eine gesellschaftliche Aufgabe und wir brauchen die ganze Bandbreite der wissenschaftlichen Disziplinen und ein vernetztes Denken.
Redaktion: Schauen wir noch mal auf die EnBW als Repräsentant der Wirtschaft. Wie will die EnBW die Klimaneutralitätsziele für den eigenen Konzern erreichen?
Katharina Klein: Wir haben uns 2020 das Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu sein. Dieser Umbau hat aber nicht 2020 begonnen, sondern vor über zehn Jahren. Aktuell haben wir den Anteil der CO2-intensiven Erzeugungsanlagen schon um 40 % reduziert. Um unser Klimaziel zu erreichen, treiben wir den Kohleausstieg voran. Bis 2025 werden wir 4 Mrd. Euro in den Ausbau der nachhaltigen Infrastruktur und damit auch in den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien stecken. Wir halten einen Ausstieg aus der Kohle 2030 unter den richtigen Voraussetzungen für möglich, prüfen das natürlich und stehen jederzeit für Gespräche mit der Bundesregierung bereit.
Redaktion: Frau Knopf, was macht die Energiewirtschaft denn noch nicht umfassend genug?
Brigitte Knopf: Ich sehe eine gewisse Gefahr darin, dass die Wirtschaft für ihre Umstellung auf Klimaneutralität zu stark auf staatliche Subventionen pocht. Für den Übergang ist das notwendig, aber es ist keine Dauerlösung. Wir brauchen Bedingungen, die ein klimaneutrales Wirtschaftssystem ermöglichen. Zum Beispiel eine höhere CO2-Bepreisung, die mit der Zeit steigt. Das gibt eine Richtung vor und führt zu Investitionssicherheit. Ich würde mir wünschen, dass die Wirtschaft solche langfristig tragbaren Bedingungen von der Politik stärker einfordert.
Redaktion: Was ist für die EnBW wichtiger auf dem Weg zur Klimaneutralität, große Infrastrukturlösungen oder kleine Produkte für den Haushalt?
Katharina Klein: Wir haben eine große Expertise darin, systemrelevante Erzeugungssysteme aufzubauen. Wir sind die Ersten, die einen förderfreien Offshore-Windpark bauen werden. Dasselbe haben wir bereits mit unserem Photovoltaikpark in Brandenburg erreicht. Damit können wir 50.000 Haushalte mit Sonnenenergie versorgen und jährlich etwa 129.000 t CO₂ sparen. Und das ist erst der Anfang. Die benötigten Kapazitäten für erneuerbare Energien erfordern es, in großen Dimensionen zu denken. Aber wir haben nicht nur diesen engen Blick auf die Erzeugung, sondern wissen, wie eine Strom- und eine Gasnetzinfrastruktur aussieht. Wichtig ist, dass die Energiewende nicht funktioniert, wenn man versucht, neue Energieträger in ein altes System einzubinden. Deshalb muss das ganze System von den Bedürfnissen der Menschen und Unternehmen, die Energie brauchen, gedacht werden. Die Elektromobilität ist nur ein Beispiel, wie sich die Anforderungen an das Stromsystem massiv ändern. Mit SENEC haben wir eine Tochter, die genau hier Lösungen für ein klimafreundliches Leben von eigener Energieerzeugung über E-Mobilität bis Speicher anbietet.
Redaktion: Frau Knopf, Veränderungen machen vielen Menschen Angst. Und Ängste sind nicht nur Empfindungen, sondern äußern sich teilweise in vehementen Widerständen. Wie kann man der Öffentlichkeit vermitteln, dass Klimaschutz eine Chance ist?
Brigitte Knopf: Es geht nicht mehr um diesen Ansatz, den man lange Zeit hatte: Es gibt eine Technologie und für die müssen wir eine Akzeptanz beschaffen. Diese Akzeptanz-Beschaffungsmaschine sozusagen, die lange unsere Denkweise bestimmte. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Neuanfang. Die Energiewende war lange positiv besetzt. Deutschland war Vorreiter bei den erneuerbaren Energien. Aber ich glaube, der Begriff Klimaneutralität bringt eine neue Dimension mit sich. Wir sind damit viel näher an den Menschen. Die Städte werden sich ändern, unsere Mobilität wird auf den Kopf gestellt und noch viel mehr. Da muss man sich die Mühe machen, eine neue gesellschaftliche Erzählung zu entwickeln. Wir nennen das gesellschaftliche Trägerschaft. Es geht darum, dass die Menschen das Gefühl haben: Ja, das ist auch unsere Transformation. Für die Veränderung braucht es außerdem Infrastrukturen. Wir haben in einer Studie analysiert, dass Leute aufs Fahrrad umsteigen, wenn erst mal die Voraussetzungen da sind, nämlich Fahrradwege, Leihoptionen und Abstellmöglichkeiten. Wir sollten uns überlegen, wie attraktive Optionen aussehen. Dann ist es kein Zwang, sondern eine Perspektive, die zu lebenswerteren Städten führt.
Katharina Klein: Wenn ich kurz ergänzen darf: Ich finde den Begriff Akzeptanz mittlerweile auch ziemlich furchtbar. Weil er impliziert, dass etwas gegen deinen Willen geschieht, was du wohl oder übel schluckst. Es gibt aber auch Beispiele dafür, wie Veränderung positiv aufgenommen wird. Zu Beginn der Pandemie wurden bei der EnBW auf einen Schlag 10.000 Leute ins Homeoffice geschickt. Am Anfang war das sehr ungewohnt. Jetzt ist es normal geworden. Wenn man heute nachfragt, sagen die Kolleg*innen, dass sie zwar Menschen vermissen, aber dass es zum Beispiel auch ein Vorteil ist, nicht mehr täglich im Stau zu hängen. Fast niemand möchte zurück zu fünf Tagen pro Woche im Büro. Das sollte uns doch Mut machen, dass Menschen in tiefgreifenden Veränderungen auch Vorteile entdecken und gestalten können.
Viele wollen jetzt Träger des Wandels sein, das gilt für Unternehmen, aber auch für die Bevölkerung.
Redaktion: Manche befürchten, dass Klimaschutz sehr viel Geld kostet und damit der wirtschaftliche Wohlstand unter die Räder gerät.
Brigitte Knopf: Am teuersten wird es, wenn wir keinen Klimaschutz betreiben, weil unser Wohlstand dann durch die Klimaschäden wirklich ruiniert wird. Und Klimaschutz ist ja eine historische Modernisierung, ähnlich wie die Digitalisierung – da muss man die Kosten immer im Zusammenhang mit den Chancen sehen. Aber klar ist: Wir müssen das möglichst kosteneffizient machen. Ein wichtiges Instrument dafür ist eine sozial ausbalancierte CO₂-Bepreisung. Der CO₂-Preis bringt Einnahmen, die Sie so zurückverteilen können, dass es für untere Einkommen einen gerechten Lastenausgleich gibt. Übrigens müssen wir vielleicht auch noch mal genauer schauen, was Wohlstand bedeutet. Der neue Jahreswirtschaftsbericht des Wirtschafts- und Klimaministers Robert Habeck nennt ausdrücklich nicht nur das Bruttoinlandsprodukt, sondern auch Gesundheitsvorsorge oder gute Schulen. Eine gute Nachricht ist, dass wir es in Deutschland und in Europa bereits geschafft haben, Wirtschaftswachstum und Emissionswachstum zu entkoppeln.
Redaktion: Es gab eine Zeit in den 2010er-Jahren, da war die Energiewende made in Germany ein Exportschlager. Frau Knopf, gibt es eine Chance, dass wir jetzt den Klimaschutz made in Europe zum Exportschlager machen?
Brigitte Knopf: Ich sehe das auch so, dass Deutschland seinen Vorreiterstatus verspielt hat. Wir brauchen aber Vorreiter. Jetzt geht es nicht nur um die Erneuerbaren, sondern um Energiesystemveränderungen und um neue Produktionsweisen, etwa für grünen Stahl. Wir müssen schauen, dass die USA uns nicht den Rang ablaufen. Ich sehe eine Chance für Deutschland und für Europa, eine neue Technologieführerschaft zu etablieren in Bezug auf klimaneutrales Wirtschaften.
Redaktion: Katharina, zurück zur EnBW als künftig klimaneutralem Unternehmen. Welche Erfahrungen macht denn die EnBW in Bezug auf den Umbau innerhalb des Konzerns. Wie sehen das die Mitarbeiter*innen?
Katharina Klein: Wir sprechen immer über Unternehmen. Als ich noch nicht bei einem Unternehmen gearbeitet habe, habe ich das auch getan. Ich habe das immer als eine Einheit verstanden, die da von oben gesteuert agiert. Aber seitdem ich bei der EnBW bin, ist mir klar, dass Unternehmen aus Menschen bestehen. Genau genommen aus rund 26.000 Mitarbeiter*innen. Ich erlebe viele Kolleg*innen, die 30 oder 40 Jahre ihres Lebens gesellschaftlich akzeptiert in der Energieversorgung gearbeitet haben. Die wurden abrupt vor die Herausforderung gestellt, dass etwas Neues hermuss. Es ist nicht einfach, alle mitzunehmen und einen Weg zu finden. Weil wir das gut gelöst haben, ist heute so eine große Identifikation da. Das merke ich bei langjährigen Mitarbeiter*innen und vor allem auch bei denen, die neu dazukommen. Gerade im Nachhaltigkeitsbereich bekomme ich viele Mails und Anrufe von Leuten, die Ideen haben, wie es noch besser, noch nachhaltiger funktionieren könnte. Das inspiriert mich, weil ich merke, dass es die Leute umtreibt. Sie finden einen Sinn und eine Motivation darin, für die EnBW zu arbeiten. Weil sie glauben, dass dieses Unternehmen etwas bewegen kann für eine bessere Welt. Das gilt für mich genauso.
Redaktion: Frau Knopf, wie gut sind denn die Aussichten, dass wir 2045 ein klimaneutrales Europa haben mit einer starken Wirtschaft?
Brigitte Knopf: Klimaneutralität 2045 oder dann europäisch 2050 ist eine Mammutaufgabe. Wir haben viele Szenarien dazu gerechnet. Es müssen beispielsweise mehrere Millionen Wärmepumpen installiert werden, uns fehlen Handwerker*innen und eine flächendeckende Ladeinfrastruktur. Es ist zielführend, erst mal vor allem auf die nahe Zukunft zu blicken, denn wir müssen jetzt den Einstieg in den Umstieg schaffen. Was mir Hoffnung macht, ist die Entwicklung der letzten zwei, drei Jahre. Es gibt einen anderen Spirit. Viele wollen jetzt Träger des Wandels sein, das gilt für Unternehmen, aber auch für die Bevölkerung. Ich hatte wenig Erwartungen, dass bei der letzten Klimakonferenz 2021 in Glasgow etwas Substanzielles passiert. Aber die Staaten haben wirklich etwas auf den Tisch gelegt und unter anderem beschlossen, aus den Verbrennern auszusteigen und Südafrika beim Kohleausstieg zu unterstützen. Die neue Bundesregierung entfacht ebenfalls Dynamik. Da ist Power dahinter. Insofern bin ich hoffnungsvoll.
Das Gespräch fand am 28. Januar 2022 und damit vor Ausbruch des Ukraine-Krieges statt.