Dieses Mal sind sie vorbereitet. Als im Frühjahr 2024 Starkregen die Bäche und Flüsse in Süddeutschland über die Ufer treten lässt, bleiben Rettungskräfte und Bürgerschaft im schwäbischen Oberstadion gelassen. Ultraschallsensoren messen an 22 Stellen, wie schnell die Pegel steigen. Mit dem neuen Warnsystem lässt sich in Echtzeit vorhersagen, wann das Hochwasser stromabwärts gelegene Stellen erreicht. „So lassen sich rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen“, sagt Robert Demmelmaier.
Der angehende Mediziner ist in der Gemeinde im Donau-Alb-Kreis aufgewachsen. Im Juni 2021 hatte Hochwasser dort schweren Schaden angerichtet. Auch in seinem Elternhaus lief der Keller voll. Als engagierter Bürger machte er sich im Internet auf die Suche und stieß auf NOYSEE, ein Frühwarnsystem, das die Netze BW Sparte Dienstleistungen anbietet.
Heute nutzen acht umliegende Kommunen das System gemeinsam. Das letzte Hochwasser zeigt, dass sich die Anschaffung gelohnt hat. „Entscheidend war, dass alle Daten im Internet frei zugänglich gewesen sind“, sagt Demmelmaier. Die Bewohner*innen konnten ihre Häuser frühzeitig mit Sandsäcken abdichten oder Freunden helfen, wenn sie wussten, dass sie selber nicht betroffen sein werden. Alles in allem eine erfreuliche Geschichte – allerdings mit ernstem Hintergrund.
Starkregen und Hochwasser machen Städten und Gemeinden heute viel mehr zu schaffen als früher. Seit der Klimawandel immer zu stärkeren und anhaltenden Niederschlägen führt, häufen sich Notfälle und Katastrophen. Im Sommer 2021 verwüstete Hochwasser in Westdeutschland zahlreiche Ortschaften, 180 Menschen starben, davon allein 135 an der Ahr. Das beschauliche Flüsschen war durch Starkregen zu einem Strom angeschwollen, der ganze Gebäude wegriss. Das Weihnachtshochwasser 2023 überschwemmte norddeutsche Städte wie Bremen. Im Frühjahr 2024 kam es nach anhaltendem Regen in Bayern und Baden-Württemberg zu erheblichen Schäden.
Obwohl ein einziges Extremwetterereignis nicht zwangsläufig mit dem Klimawandel in Verbindung stehen muss, sehen Forschende über die Jahre hinweg einen eindeutigen Zusammenhang. Der aktuelle IPCC-Bericht, der das weltweite Klimawissen zusammenfasst, bestätigt, dass es immer häufiger zu Wetterextremen kommt und der durch Menschen gemachte Treibhauseffekt dabei eine entscheidende Rolle spielt. Die Folgen der Erderwärmung seien bislang sogar massiv unterschätzt worden.
Den Zusammenhang erklärt der Forscher Stefan Rahmstorf in einem Spiegel-Interview so: „Pro Grad Erwärmung kann Luft sieben Prozent mehr Feuchtigkeit in Form von Wasserdampf aufnehmen.“ Je wärmer also die Wasserflächen der Meere sind, umso mehr Flüssigkeit verdunstet. Entsprechend größer wird der Nachschub an feuchtegesättigter Luft, was zu starken Niederschlägen führen kann.
Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass extreme Regenfälle stärker und häufiger kommen werden. Häufigere und intensivere Niederschläge über Land wirkten sich auf Wohlstand und Stabilität der Gesellschaft aus. Überschwemmungen , aber auch die Verfügbarkeit von Grundwasser, könnten nicht nur zu finanziellen Einbußen führen, sondern auch zahlreiche Menschenleben gefährden.
Das sehen Versicherer ähnlich, die für die abgesicherten Schäden aufkommen müssen. Nach Angaben des Rückversicherers Munich Re betrugen die Schäden durch Hochwasser weltweit in den vergangenen fünf Jahren 300 Milliarden US-Dollar, davon waren 45 Milliarden US-Dollar versichert. Die Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021, habe in Deutschland und den Nachbarländer Schäden von 54 Milliarden Dollar verursacht.
Schadensreichte Naturkatastrophen für die Versicherungswirtschaft in Deutschland
Wie lassen sich die Folgen von Starkregen und Überschwemmung auf andere Art lindern? Die Menschen müssten ihre Siedlungsweise den veränderten Bedingungen anpassen, sagt Theo Schmitt, emeritierter Professor an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU Kaiserslautern). „In den meisten Fällen ist die Bebauung nicht auf eine Hochwassersituation ausgerichtet.“ Als Beispiel nennt er Tiefgaragen, deren Zufahrten ein idealer Weg für Regenwasser sind, um in den Keller von Gebäuden einzudringen.
Er fordert einen Rundum-Prüfung in deutschen Kommunen. „Im ersten Schritt wäre die Gefahrensituation zu analysieren“, sagt der Wissenschaftler. Auf den Prüfstand müsste die gesamte Stadtplanung – Kanalisation, Wohnhäuser, Industrieanalgen und nicht zuletzt die Energie- und Wasserversorgung.
Eine Studie der RPTU Kaiserslautern widmet sich neben Starkregen auch dem Hochwasser in Flüssen und Bächen. Gefahren- und Risikokarten sollten danach das Risiko für jede einzelne Straße analysieren, Frühwarn- und Informationssysteme rechtzeitig alarmieren. Regenbassins, oberirdische Sammelflächen oder Flutmulden würden ebenfalls helfen. Zur Sicherheit trage auch der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien bei. Durch die dezentrale Erzeugung werden Risiken breiter gestreut als bei großen Kraftwerken.
Fachleute der Netze BW beschäftigen sich ebenfalls intensiv mit den Auswirkungen des Klimawandels auf den Netzbetrieb. Vor dem Bau von Hochspannungsleitungen studieren sie Karten verschiedener Hochwasserszenarien und leiten daraus Standortrisiken ab. „Das Ergebnis hat zum Beispiel Einfluss auf die Standortwahl von Umspannwerken“, sagt Patrick Huber vom technischen Innovationsbereich der Netze BW. Auf dieselbe Weise sollen künftig auch Mittel- und Niederspannungsnetze bis zum Trafo an der Straßenecke geplant werden.
Ist die Energieversorgung akut bedroht, steht der technische Betrieb bereit. „Dann greift das Notfall- und Krisenmanagement“, sagt Huber. Geübte Entstörtrupps machen sich auf den Weg, um die Versorgung so schnell wie möglich wieder herzustellen.
Aber nicht nur Netzbetreiber, auch Kommunen müssen schnell handeln, wenn sie von Hochwasser und Starkregen bedroht werden. Die Gemeinde Linkenheim-Hochstetten hat zum Beispiel gemeinsam mit Fachleuten der EnBW ein Krisen- und Notfallhandbuch entwickelt. Darin ist unter anderem genau festgelegt, was bei bestimmten Ereignissen zu tun ist. Bislang blieb der Ort zwar verschont. Doch für Bürgermeister Michael Möslang ist klar, dass dies nicht so bleiben muss. „Früher oder später wird es auch bei uns ein Großschadensereignis geben.“