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Das Erdgasnetz in Deutschland
Das deutsche Erdgastransportnetz misst rund 600.000 Kilometer. Es ist damit mehr als 45 Mal so lang wie das deutsche Autobahnnetz und würde eineinhalb Mal bis zum Mond reichen. Von den acht Grenzübergangsstellen wird das Erdgas über das Hoch-, Mittel- und Niederdrucknetz zu den Verbraucher*innen transportiert.
Ähnlich wie das Stromnetz ist auch das in der Hand vieler, kleiner und meist regionaler Netzbetreiber. Sie kümmern sich um Betrieb, Wartung, Instandhaltung und den Ausbau des Netzes. Denn das deutsche Erdgasnetz soll künftig auch Wasserstoff transportieren können. Dazu muss es schrittweise ausgebaut und modernisiert werden.
Wie ist das Gasnetz aufgebaut?
Was für den Stromtransport die Spannung, ist beim Erdgas der Druck: Mit seiner Hilfe werden die Gasmoleküle so in eine Richtung durch die Röhren gelenkt. An den Grenzübergangsstellen werden die Gasmoleküle auf die Druckverhältnisse im deutschen Gasverteilnetz gebracht – zunächst auf Hochdruck mit über 1 Bar, dann auf Mitteldruck (über 100 Millibar bis 1 Bar) und schließlich für die Verteilung zu den Verbraucher*innen auf Niederdruck mit bis zu 100 Millibar. Dies erledigen Gasdruckregel- und Messanlagen: Sie reduzieren auf wenige Millibar Überdruck und messen die transportierten Gasmengen.
Beim Transport entstehen zudem Reibungsverluste, die über die langen Distanzen die Bewegung der Erdgasmoleküle hemmen. Deshalb halten in bestimmten Abständen sogenannte Verdichter den Druck aufrecht. Sie sind in Abständen zwischen 100 und 400 Kilometern entlang des Gasnetzes installiert und treiben die Moleküle voran – im Schnitt liegt die Transportgeschwindigkeit von Erdgas so bei 20 Stundenkilometern.
Im Jahr 2023 ist der Erdgasverbrauch der Deutschen nochmals gesunken und liegt nun bei 813 Terrawattstunden (TWh). Zu den größten Verbrauchern zählen mit jeweils 34 Prozent Privathaushalte und die deutsche Industrie. Etwa 11 Prozent verbrauchen Energieunternehmen, um damit Strom zu erzeugen.
Das Erdgas kommt meist über Pipelines aus anderen Ländern nach Deutschland. Nachdem der Erdgas-Import aus Russland als Folge des Ukraine-Kriegs gestoppt wurde, brauchte Deutschland andere Bezugsquellen für Erdgas. Im Jahr 2023 kamen deshalb 43 Prozent der Erdgasimporte aus Norwegen, 25 Prozent aus der Niederlande und 21 Prozent aus Belgien.
In Deutschland wird aktuell noch in drei Bundesländern Erdgas gefördert: in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen. Die größten Erdgasvorkommen gibt es in Niedersachsen. Hier wurden 2023 rund 4.270 Kubikmeter Erdgas gefördert. Rechnet man alle Fördermengen zusammen, kann Deutschland nur etwa fünf Prozent seines Erdgasbedarfs selbst decken.
LNG: Flüssiggas per Schiff
Unabhängig von Pipelines lässt sich Erdgas auch mit Schiffen transportieren. Dazu wird das Erdgas auf minus 162 Grad Celsius abgekühlt. Dadurch geht es vom gasförmigen in einen flüssigen Zustand über. Man spricht dann von verflüssigtem Erdgas oder LNG (englisch „liquefied natural gas“). Der Vorteil ist, sich das Volumen auf ein Sechshundertstel des gasförmigen Zustands verringert. Beim Anlanden wird das Erdgas in speziellen Anlagen wieder erwärmt und in das Netz eingespeist.
Gegenüber Pipelines rechnet sich dieser Transportweg ab etwa 3.000 Kilometern, etwa wenn Schiffsladungen mit LNG aus Katar am Persischen Golf oder aus Kanada stammen. Die Mengen, die nach Europa importiert werden, mehren sich kontinuierlich, die Anlagen zur Verflüssigung und zur Rückverwandlung ebenfalls. Verglichen mit den Mengen, die über Pipelines nach Deutschland kommen, ist der Anteil an LNG-Importen aber noch verhältnismäßig gering. In 2023 betrug er gerade einmal 7 Prozent.
Im deutschen Gasnetz fließt Erdgas noch bis Herbst 2029 in zwei Qualitäten: als L-Gas mit niedrigem oder als H-Gas mit hohem Brennwert. L-Gas („low calorific gas") hat einen geringeren Methangehalt und damit weniger Energie pro Kubikmeter als H-Gas („high calorific gas"). Diese Unterschiede entstehen, weil Erdgas ein Naturprodukt ist und der Brennwert je nach Herkunft variiert.
Aufgrund der unterschiedlichen Eigenschaften werden L-Gas und H-Gas in getrennten Gasnetzen transportiert. Für Verbraucher gibt es jedoch keine Preisunterschiede bei der Abrechnung, da diese sich nach dem Energiegehalt und nicht nach dem Volumen richtet: Ein Kubikmeter L-Gas ist günstiger als ein Kubikmeter H-Gas, da er weniger Energie liefert.
Marktraumumstellung: ab 2029 nur noch H-Gas
Seit 2015 läuft in Deutschland die sogenannte Marktraumumstellung, eines der größten Infrastrukturprojekte der deutschen Gaswirtschaft. Der Grund dafür ist, dass die Produktion von L-Gas, das vor allem aus deutschen und niederländischen Vorkommen stammt, zurückgeht. Ab dem 1. Oktober 2029 soll kein niederländisches Gas mehr nach Deutschland exportiert werden. Bis spätestens 2029 müssen alle betroffenen Regionen auf das energiereichere H-Gas umgestellt werden, was hauptsächlich Haushalte in Westdeutschland, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, betrifft.
Im Rahmen der Umstellung müssen alle gasbetriebenen Geräte an die neue Gasart angepasst werden, damit der Betrieb auch mit H-Gas sicher und effizient bleibt. Die Kosten für die Marktraumumstellung werden auf mehrere Milliarden Euro geschätzt und müssen von den Netzbetreibern sowie durch staatliche Zuschüsse finanziert werden.
Bis Ende der 1950er Jahre wurde in Deutschland das von Kokereien erzeugte Kokereigas vornehmlich in Städten als „Stadtgas“ verteilt. Als Abfallprodukt der Kokserzeugung für die Hüttenwerke wurde es in den Haushalten zur Energieversorgung zum Kochen und für die Beleuchtung genutzt. Die Leitungen bildeten kein zusammenhängendes Netz. Sie verbanden in den Industriezentren, zum Beispiel im Ruhrgebiet, die Produktionsstätten mit den Abnahmestellen in der Nachbarschaft.
Niederlande liefern erstmals Erdgas
Mit der Entdeckung des damals größten Erdgasfundes der Welt im niederländischen Groningen entstand Anfang der 60er eine neue Situation: Das Erdgas war günstiger als Kokereigas, noch dazu mit doppelt so hohem Brennwert. Außerdem gab es keine Mengen- oder Ortsbegrenzung wie beim Stadtgas durch die Kokereien. Als Erste ergriffen die Unternehmen der Chemie- und Schwerindustrie die Gelegenheit und stiegen auf Erdgas um. Kurze Zeit später trat Erdgas als Konkurrent des Heizöls auf dem Wärmemarkt auf – und begann seinen Siegeszug. In den Städten verdrängte Erdgas nach und nach das Stadtgas, auch weil es immer weniger Kokereien gab.
Weitere Bezugsquellen werden erschlossen
Den zweiten großen Schub für den Aufbau eines umfassenden Gasverteilnetzes leistete das Erdgasröhrengeschäft mit der Sowjetunion Anfang der 1970er-Jahre. Es war Bestandteil der neuen Ostpolitik der Bundesregierung unter Willy Brandt. Die Wirtschaftsbeziehung sollte das schwierige Verhältnis zwischen Ost und West entspannen: 1973 begann die Lieferung mit sowjetischem Erdgas über eine rund 2.000 Kilometer lange Verbindung. Deutschland zahlte zunächst in „Naturalien“: mit 1,2 Millionen Tonnen Großrohren der Firma Mannesmann für die Pipeline. Mit Lieferungen aus der Nordsee vor Norwegen entwickelte sich Ende der 1970er-Jahre das dritte große Standbein für den deutschen Erdgasbezug.
Das Erdgasnetz wird ausgebaut
Die drastisch gestiegenen Gasmengen gingen mit einem ebenso starken Ausbau der Leitungen einher: Wie im Stromnetz entstanden rasch miteinander verbundene Pipelines, die flächendeckend Erdgas zu den Unternehmen und Haushalten bringen sollten. Neue Versorger entstanden, Anfang der 70er-Jahre bereits 16 Importunternehmen, die sogenannten Ferngasgesellschaften, sowie 500 örtliche Verteilunternehmen (Regionalgesellschaften, Stadt- und Gemeindewerke). Das Rohrnetz umfasste damals rund 100.000 Kilometer. In den folgenden 20 Jahren wurden vor allem Leitungen für Hoch- und Mitteldruck gebaut, um Erdgas möglichst überallhin liefern zu können. Heute misst das Gasnetz rund 600.000 Kilometer.
Fossil und Energiewende: Das klingt wie ein Widerspruch, ist aber keiner. Denn das Erdgasnetz ist eine wichtige Infrastruktur, wenn es darum geht, erneuerbare Energien effizienter zu nutzen und für mehr Klimaschutz zu sorgen. Als Power-to-Gas kann etwa überschüssiger Ökostrom in Gas umgewandelt und ins Erdgasnetz eingespeist werden.
Erdgas bringt einen zweiten Vorteil in Sachen Energiewende: Die gut ausgebaute Netzinfrastruktur in Deutschland kann auch grünen Wasserstoff aufnehmen. Im Sommer 2022 hat man bereits eine Beimischung von 30 Prozent Wasserstoff im Erdgasnetz erreicht. Zusätzlich wird die Integration von Wasserstofftechnologien als Schlüssel betrachtet, um die CO₂-Emissionen weiter zu reduzieren und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern.